Ansicht der Isolierglasscheibe von der Raumseite mit Blick auf den Drucksprung.

Ansicht der Isolierglasscheibe von der Raumseite mit Blick auf den Drucksprung. (Foto: © Manfred Beham)

Schlagartiger Glasbruch: Wenn es nach Jahren plötzlich knallt

Sind Isoliergläser vorgeschädigt oder nicht für die klimatischen Rahmenbedingungen ihres Einsatzortes ausgelegt, können relativ schnell Schäden auftreten. Aber was ist die Ursache für einen schlagartigen Glasbruch nach fast 30 Jahren?

Wenn Isolierglasscheiben 30 bis 40 Jahre lang ihre Funktion erfüllen, kann man durchaus eine sehr gute Fertigungs- und Verglasungsqualität der Produkte attestieren. Oft zeichnet sich das Ende der Lebensdauer der Funktionsgläser durch ein "Blindwerden" der Gläser ab, also durch die fortschreitende Bildung von Kondensat im hermetisch dichten Scheibenzwischenraum.

Allerdings gibt es nach sehr langer Nutzungsdauer auch Spontanereignisse, die überraschend das Ende von Isoliergläsern besiegeln. Gemeint ist hier ein überraschender Glasbruch ohne äußerlich erkennbare Einwirkung. Dabei findet man nicht einen einfachen Sprung vor, der sich durch die Scheibe zieht oder ein Spinnennetz, das auf einen mechanischen "Anschlag" auf die Glasoberfläche hindeutet.

Bruchbild absolut eindeutig

Bei dem hier beschriebenen Spontanbruch sieht das Bruchbild absolut eindeutig aus: Es handelt sich um einen, durch starke Druckveränderung im Mehrscheiben- Isolierglas ausgelösten Drucksprung (Berstbruch). Das typische eines Drucksprungs ist sein Beginn in der Scheibenmitte und die Aufspaltung der Brüche in ihre Laufrichtung hin zu den Ecken der Scheibe. Ob es nun ein Überdruck- oder Unterdrucksprung ist, kann erst bei genauerer Untersuchung festgestellt werden.

Dazu wurde in dem hier beschriebenen Fall die Scheibenmitte mit dem Bruchbeginn großzügig abgeklebt, um die Bruchstücke zusammenhalten und anschließend den abgeklebten Teil aus der Scheibe herausschneiden zu können. Das vom Hersteller als Wärmedämm-Isolierglas mit der damals nach ÖNORM am Abstandhalter geforderten Kennzeichnung "G" für gasgefüllt bezeichnete Mehrscheibenisolierglas besteht aus 8 mm Floatglas, 16 mm SZR mit Edelgasfüllung und 4 mm Floatglas mit LowEBeschichtung auf Position 3.

Die Größe der Isolierglaseinheit beträgt 547 mm x 1.755 mm. Hergestellt wurde es auf 289 Meter über Meereshöhe (NN), eingebaut auf 360 Meter über NN. Typischerweise befand sich der Glasbruch an der dünneren Innenscheibe, die deutlich weniger Belastung aushalten kann als die doppelt so dicke 8 mm dicke Außenscheibe.

Untersuchung und Analyse der Glaskanten

Brüche teilen sich immer nur in ihrer Laufrichtung. So lässt sich aus diesem Bruchbild schließen, dass der Auslösungspunkt mitten in der Scheibe liegt. Foto: © Ekkehard WagnerBrüche teilen sich immer nur in ihrer Laufrichtung. So lässt sich aus diesem Bruchbild schließen, dass der Auslösungspunkt mitten in der Scheibe liegt. Foto: © Ekkehard Wagner

Zur Analyse der Glaskanten wurden die Bruchstücke sorgfältig von der Klebefolie befreit. So konnten die Bruchoberflächen betrachtet werden. Da der Bruchbeginn genau in der Mitte lag, war es einfach, anhand der Bruchoberflächen die Laufrichtung zu bestimmen, denn es kommt eines der drei Bruchgesetze zur Anwendung: "Brüche teilen sich immer nur in ihre Laufrichtung."

Da deutliche "Wallner-Linien" erkennbar waren, konnte anhand dieser Bruchoberflächenmarker eindeutig festgestellt werden, wo Druck- und wo Zugspannung aufgetreten waren. Durch starkes Einbauchen (konkav) war an den zum Scheibenzwischenraum (SZR) gerichteten Oberflächen Zugspannung erkennbar und auf den nach außen zeigenden Oberflächen Druckspannung. Ein weiteres Indiz dafür war das leichte Auslaufen einiger Brüche leicht parallel zur Glasoberfläche, anstelle von oft vorhandenen muschelförmigen Abplatzungen. Sehr starkes und offenbar länger anhaltendes Einbauchen (konkav) führte in diesem Fall zum Totalversagen der dünneren Glasscheibe.

Nach außen öffnender Bruchspiegel

Wallner-Linien zeigen die Bruchlaufrichtung (Pfeil) an und die Oberfläche mit Druckspannung (oben) und mit Zugspannung (unten). Foto: © Ekkehard WagnerWallner-Linien zeigen die Bruchlaufrichtung (Pfeil) an und die Oberfläche mit Druckspannung (oben) und mit Zugspannung (unten). Foto: © Ekkehard Wagner

Interessant ist die Tatsache, dass sich auf der Bruchoberfläche am Bruchbeginn ein deutlich erkennbarer, nach außen öffnender Bruchspiegel zeigte. Nach der Gleichung von Orr und der Annahme, dass die Bruchspiegelkonstante bei Floatglas (Kalk-Natron-Silikatglas) mit ca. 2,0 angenommen werden kann, ergibt sich hieraus bei einem Bruchspiegelradius von 2,05 mm eine Bruchspannung von ca.44 N/mm². Aufgrund der differierenden Angaben für die Bruchspiegelkonstante in der Literatur sind diese Angaben mit +/- 20 Prozent relativ genau.

Das ist keine sehr hohe Bruchspannung, da es sich aber bei einer solchen Druckspannung meist um eine länger anhaltende Spannung handelt, ist der Glasbruch erklärbar. Schaut man den Bruchspiegel genauer an, kann man auch den genauen Bruchausgang an einer sehr kleinen Unregelmäßigkeit erkennen. Erklärbar ist allerdings nicht, warum der Drucksprung erst nach 27 Jahren auftrat.

Dass es sich um langsames, sogenanntes "unterkritisches Bruchwachstum" handelt, kann anhand des typischen Bruchaussehens mit vielen Aufspaltungen eindeutig verneint werden. Dass das Füllgas im Laufe der Jahre ausdiffundiert ist, kann ebenfalls verworfen werden, weil durch diese Gaspermeation nach außen auch Feuchte eindiffundiert und die Scheibe sichtbar erblindet wäre.

Mögliche Ursache des Glasbruchs

An der Unterkante des Bruchspiegels ist der Beginn des Drucksprungs an der Unregelmäßigkeit erkennbar (Pfeil), Hier trat die größte Zugspannung auf. Foto: © Ekkehard WagnerAn der Unterkante des Bruchspiegels ist der Beginn des Drucksprungs an der Unregelmäßigkeit erkennbar (Pfeil), Hier trat die größte Zugspannung auf. Foto: © Ekkehard Wagner

Die einzige Erklärung, die wir für diesen spontanen Glasbruch nach 27 Jahren haben, basiert auf der Vermutung, dass das eingefüllte Trockenmittel über Jahrzehnte hinweg einen geringen Anteil des Argons absorbiert hat und somit der Druck im SZR langsam aber stetig gesunken ist. So bildete sich ein langsam steigender, anhaltender Unterdruck im SZR. Das könnte den Drucksprung durch konkave Verformung plausibel erklären.

Die Untersuchung des im Abstandhalter vorhandenen Trockenmittels zeigte allerdings keinerlei Auffälligkeiten. Die Körnigkeit, Trockenheit und Farbe des Molekularsieb-Materials entsprach dem Aussehen nach einem unversehrten soeben aus dem Big Bag geförderten Trockenmittel. Auf eine genauere Untersuchung hinsichtlich Vorbeladung wurde mangels Relevanz verzichtet.

Fazit

Nicht immer führt die Ursachenforschung bei Glasbruch zu einem eindeutigen, plausiblen Ergebnis. Ob es aber tatsächlich so war, wie hier vermutet, ließe sich nur mit unverhältnismäßig hohem Prüfaufwand feststellen. Eine plausible Erklärung liefert hier jedoch die Argonsorption durch vermutlich 4°A oder ähnliches Trockenmittel.


Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Schlagartiger Glasbruch: Wenn es nach Jahren plötzlich knallt

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