Besteht ein Bedenkensachverhalt bei der Ausführung eines Werks, ist mit Blick auf gerichtliche Entscheidungen und die wirtschaftlichen Auswirkungen einer ordnungsgemäßen Bedenkenmitteilung anzuraten, vorsorglich auch bei einem sachkundigen Auftraggeber etwaige Bedenken gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B (schriftlich) mitzuteilen.

Besteht ein Bedenkensachverhalt bei der Ausführung eines Werks, ist mit Blick auf gerichtliche Entscheidungen und die wirtschaftlichen Auswirkungen einer ordnungsgemäßen Bedenkenmitteilung anzuraten, vorsorglich auch bei einem sachkundigen Auftraggeber etwaige Bedenken gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B (schriftlich) mitzuteilen. (Foto: © Vössing)

Bedenkenmitteilung immer erforderlich?

Die Bedenkenmitteilung zählt zu den wichtigsten Schreiben beim Baustellenschriftverkehr. Sie sollte vom Auftragnehmer in Fällen, bei denen zum Beispiel die fachgerechte Ausführung eines Werks nicht eindeutig gewährleistet werden kann, konsequent angewendet werden.

Aber besteht diese Pflicht auch gegenüber fachkundigen Auftraggebern?

Von Jörg Teller

Die Rechtsfolge einer ordnungsgemäßen Bedenkenmitteilung gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B ist eine Haftungserleichterung zugunsten des Auftragnehmers. Mit der Frage, wann, wie und wem gegenüber Bedenken mitzuteilen sind, müssen sich die Gerichte regelmäßig beschäftigen.

Hinzugekommen sind in den letzten Monaten gerichtliche Entscheidungen, die sich dazu äußern, ob der Auftragnehmer immer und grundsätzlich bei Bedenkensachverhalten gehalten ist, eine Bedenkenmitteilung zu verfassen, mithin, ob Vertragsgestaltungen denkbar sind, bei denen trotz erkannter/erkennbarer Bedenken keine Pflicht zur förmlichen Bedenkenmitteilung besteht.

Mit einer derartigen Fallgestaltung hat sich das Oberlandesgericht München und später auch der Bundesgerichtshof in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung beschäftigt. Die gerichtliche Entscheidung gibt Auskunft zu gleich mehreren für die Baupraxis wichtigen Themen.

Aktueller Fall

Der Auftraggeber hatte den Auftragnehmer sukzessive damit beauftragt, in Gebäuden einer Wohnanlage die Verkehrsflächen mit Natursteinplatten der Qualität "Padang, dunkel, geflammt/gebürstet" zu belegen. Das vom Auftragnehmer einzubauende Material hatte der Auftraggeber gestellt. Der Auftraggeber unterhält auf seinem Gelände (zum Zwecke der Bemusterung) diverse Bodenbeläge-Ausstellungen von Drittfirmen, darunter auch die Firma, die das vom Auftragnehmer verlegte Material geliefert hatte.

Im Rahmen des Vertragsabschlusses übergab der Auftragnehmer dem Auftraggeber ein Informationsblatt ("Naturstein- Informationen"), laut dem es in den ersten Monaten nach der Verlegung "vollkommen genügen" soll, den fertigen Belag nur mit handwarmen Wasser zu wischen. Einige Monate nach Fertigstellung des Belages wiesen die Natursteinplatten jedoch zum Teil Verfärbungen und Verfleckungen an der Oberfläche auf.

Der Auftraggeber ist der Ansicht, dass der verlegte Steinbelag für die Verkehrswege in den streitgegenständlichen Gebäuden nicht geeignet ist und verlangte im Rahmen des von ihm eingeleiteten Rechtsstreits die Zahlung eines Kostenvorschusses zur Mängelbeseitigung in Höhe von 80.000 Euro sowie eines Schadensersatzbetrages von etwa 12.500 Euro. Die mangelnde Eignung habe der Auftragnehmer im Rahmen einer Bedenkenanmeldung vor dem Einbau monieren müssen, so eine Einschätzung. Im Übrigen sei durch das Informationsblatt eine Falschberatung erfolgt.

Der Auftragnehmer seinerseits argumentiert dahingehend, dass es sich bei dem Auftraggeber um ein Bauunternehmen handele, welches bereits lange Zeit auf diesem Gebiet tätig sei und über entsprechende Erfahrungen sowie Fachleute verfüge. Wenn der Auftraggeber selbst den Naturstein stelle, sei er – so der Auftragnehmer – auch für dessen Eigenschaften verantwortlich. Das Landgericht gab der Klage statt und verurteilte den Auftragnehmer zur Zahlung von Kostenvorschuss und Schadensersatz.

Dem Urteil des Landgerichts trat der Auftragnehmer mit der Berufung entgegen (OLG München, Urteil vom 17.08.2022, 27 U 3593/21 – Bau; BGH, Beschluss vom 02.08.2023, VII ZR 166/22).

Entscheidung des Oberlandesgerichts München

Die Berufung des Auftragnehmers war erfolgreich. Das Oberlandesgericht München folgt im Ergebnis seiner Argumentation. Für die vom Auftraggeber thematisierte Bedenkenhinweispflicht ist aus Sicht des Oberlandesgerichts kein Raum. Grundsätzlich könne den Hersteller eines (Bau-)Werkes die Pflicht treffen, den Auftraggeber auf das mit der Verwendung des hergestellten Werks verbundene Risiko hinzuweisen.

Der meist sachunkundige Besteller verlasse sich in zahlreichen Fällen aus Sicht des Gerichts auf den fachkundigen Unternehmer. Deshalb gehöre es beispielsweise zum Pflichtenkreis des sachkundigen Unternehmers, den nicht sachkundigen Besteller darüber aufzuklären, ob das bestellte Werk für den vorgesehen Zweck tauglich ist und den Bedürfnissen des Bestellers entsprechen kann.

Daneben habe der Unternehmer den Besteller auch über die Wartung und Bedienung des erstellten Werks zu unterrichten. Inhalt und Umfang der Hinweispflicht müssen sich aus Sicht des Oberlandesgerichts am Schutzbedürfnis des Auftraggebers orientieren.

Darf der Auftragnehmer/Unternehmer davon ausgehen, dass dem Besteller bestimmte Risiken aufgrund eigener Sachkunde geläufig sind, kann man aus gerichtlicher Sicht nicht erwarten, dass er dem Auftraggeber ohne besonderen Anlass eine (aus seiner Sicht möglicherweise überflüssige) Information zukommen lässt.

Im Übrigen habe der Auftraggeber im entschiedenen Fall den Belag selbst besorgt und ihn zum Zweck der Bemusterung für etwaige Kunden bereitgehalten (OLG München, Urteil vom 17.08.2022, 27 U 3593/21 – Bau; BGH, Beschluss vom 02.08.2023, VII ZR 166/22).

Für die Praxis

Die gerichtlichen Erwägungen betreffend der Verlegung der Natursteinplatten dürften unmittelbar auch anwendbar auf die Lieferung und Montage von Fenstern, Türen oder Fassadenelementen sein. Auch wenn die Erwägungen der gerichtlichen Entscheidung richtig (und gerecht?) sind, sollte die Auftragnehmerseite die Entscheidung nicht zum Anlass nehmen, grundsätzlich in ähnlichen Fällen vollständig auf einen Bedenkenschriftverkehr zu verzichten.

Neben dem Umstand, dass bei der Frage, ob und wie Bedenken mitzuteilen sind, stets der Einzelfall und damit insbesondere die vertragliche Situation einerseits und andererseits die Gegebenheiten auf der Baustelle zu berücksichtigen sind, sollte auch beachtet werden, dass der Text des § 4 Abs. 3 VOB/B die vom Oberlandesgericht München dargestellte Wertung jedenfalls nicht ausdrücklich abbildet.

Hat der Auftragnehmer Bedenken, so hat er sie gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B dem Auftraggeber mitzuteilen. Daneben sollte berücksichtigt werden, dass es bei einer fehlenden schriftlichen Bedenkenmitteilung vom betroffenen Auftragnehmer im Bauprozess substantiiert darzulegen und nachzuweisen wäre, dass der Auftraggeber die erforderliche Sachkunde hatte, ein bestehendes Risiko zu erkennen.

Der Vortrag und der Nachweis dahingehend, dass dem Auftraggeber bestimmte Risiken aufgrund eigener Sachkunde geläufig sind, kann sich im Einzelfall durchaus als sehr anspruchsvoll gestalten.

Mit Blick auf die einschlägigen gerichtlichen Entscheidungen und die zum Teil erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen einer ordnungsgemäßen Bedenkenmitteilung ist anzuraten, vorsorglich auch bei einem sachkundigen Auftraggeber etwaige Bedenken gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B (schriftlich) mitzuteilen, um die nicht unerheblichen Prozessrisiken beim Unterlassen der Mitteilung zu vermeiden.

Der Autor ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Frankfurter Kanzlei SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.


Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Bedenkenmitteilung immer erforderlich?