Die Unterzeichnung eines Abnahmeprotokolls ohne vorherige umfängliche Lektüre des Schriftstücks kann weitreichende Folgen haben, beispielsweise hinsichtlich der Dauer der Gewährleistung.

Die Unterzeichnung eines Abnahmeprotokolls ohne vorherige umfängliche Lektüre des Schriftstücks kann weitreichende Folgen haben, beispielsweise hinsichtlich der Dauer der Gewährleistung. (Foto: © Vössing)

Abnahmeprotokoll mit Vertragsergänzung: Besondere Sorgfalt ist geboten

Durch individuelle Einträge in das Abnahmeprotokoll kann der Bauvertrag abgeändert werden, beispielsweise hinsichtlich der Gewährleistungsfrist.

Der Inhalt des Protokolls sollte daher penibel durchgesehen werden, denn die Unterschriften unter dem Schriftstück werden in der aktuellen Rechtsprechung in der Regel als Beleg für die Einvernehmlichkeit einer Vertragsergänzung bewertet.

Die Abnahme der Bauleistung besteht grundsätzlich in der körperlichen Entgegennahme des Werks, zumeist im Wege der Besitzübertragung, verbunden mit der ausdrücklich oder konkludent erklärten Anerkennung als im Wesentlichen vertragsgemäße Leistung/Erfüllung des Bauvertrages.

Bei der Abnahme handelt es sich nach den Vorschriften der §§ 640 BGB und 12 VOB/B um einen im Schwerpunkt technisch geprägten Vorgang, der unter anderem dazu führt, dass das Erfüllungsstadium endet und die Vergütung des Auftragnehmers fällig wird. Viele Bauverträge sehen die förmliche Abnahme der Bauleistung gemäß § 12 VOB/B vor. Bei einer förmlichen Abnahme haben beide Vertragspartner anwesend zu sein; des Weiteren ist der Befund im Rahmen des Abnahmetermins schriftlich niederzulegen; typischerweise im Rahmen eines Abnahmeprotokolls.

Mit Eintragungen im Abnahmeprotokoll, die den Bauvertrag abändern, müssen sich die Gerichte immer wieder beschäftigen. Viele Bauprozesse zeigen, dass die Thematik in manchem Unternehmen noch nicht wahrgenommen wird. Das Oberlandesgericht München musste sich im Rahmen einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung mit der Frage beschäftigen, was gilt, wenn im unterzeichneten Abnahmeprotokoll andere Beginn-Termine für die Verjährungsfristen angegeben werden als im Bauvertrag vereinbart.

Aktueller Fall

Nach dem – stark gekürzt veröffentlichten – Tatbestand der Entscheidung begehrte der Auftragnehmer von seinem Auftraggeber im Rechtsstreit die Herausgabe von vier Gewährleistungsbürgschaften. Die Parteien stritten im Rahmen des Bauprozesses im Wesentlichen darüber, ob die im Werkvertrag mit dem zugehörigen Verhandlungsprotokoll zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vereinbarte Gewährleistungsfrist von fünf Jahren und zwei Monaten abgelaufen war, was zu einer Herausgabeverpflichtung geführt hätte, oder nicht.

Der Auftragnehmer argumentierte im Rahmen des Verfahrens dahingehend, dass im Verhandlungsprotokoll bzw. Werkvertrag der Beginn der Gewährleistungsfristen einvernehmlich festgelegt worden sei. Aus seiner Sicht seien die Gewährleistungsfristen im Verhandlungsprotokoll bzw. Werkvertrag abschließend geregelt und insofern abgelaufen, was zu einer Herausgabeverpflichtung des Auftraggebers führe.

Der Auftraggeber trat dem entgegen und wies darauf hin, dass der Beginn der Gewährleistungsfristen durch das einige Jahre später unterzeichnete Abnahmeprotokoll gemäß einem entsprechenden Vermerk verlängert worden sei (OLG München, Beschluss vom 07.04.2021, Az.: 9 U 7047/20 Bau; BGH, Beschluss vom 09.03.2022, Az.: VII ZR 366/21).

Entscheidung des OLG München

Das Gericht arbeitete im Rahmen seiner Entscheidung Folgendes heraus: Werden im Abnahmeprotokoll andere Beginn-Termine für die Verjährungsfristen angegeben als im Bauvertrag vereinbart, handelt es sich bei der wechselseitigen Unterzeichnung des Abnahmeprotokolls um eine einvernehmliche Vertragsergänzung. Das Gericht folgte also der Argumentation des Auftraggebers dahingehend, dass der Beginn der Verjährungsfristen durch die Unterzeichnung des Abnahmeprotokolls einvernehmlich verändert wurde.

Dies führte im Ergebnis dazu, dass der Auftragnehmer mit seiner Forderung auf Herausgabe der Gewährleistungsbürgschaften scheiterte (OLG München, Beschluss vom 07.04.2021, Az.: 9 U 7047/20 Bau; BGH, Beschluss vom 09.03.2022, Az.: VII ZR 366/21). Ähnlich wie beim Oberlandesgericht in München wurde mittlerweile mehrfach auch andernorts entschieden, dass durch eine entsprechende textliche Gestaltung des Abnahmeprotokolls beispielsweise eine im Bauvertrag vereinbarte Gewährleistungsfrist durch die Unterzeichnung des Protokolls von Auftraggeber und Auftragnehmer nicht unerheblich verlängert werden kann.

Weitere OLG-Entscheidungen

Im Falle eines Bauvertrages für Rohbauarbeiten einschließlich der Arbeiten für die Fassade und das Wärmedämmverbundsystem sah der Vertrag eine Gewährleistungszeit von fünf Jahren vor. Dessen ungeachtet wurde in dem Jahre später erstellten und von den Parteien unterschriebenen Abnahmeprotokoll eine verlängerte Gewährleistungsfrist von zehn Jahren benannt.

Das Oberlandesgericht Bamberg stellte in diesem Fall eine wirksame Verlängerung der Gewährleistungsfrist von fünf auf zehn Jahre fest (OLG Bamberg, Urteil vom 26.06.2018, Az: 5 U 99/15). Ähnlich wurde in einem Fall entschieden, bei dem der Beginn und das Ende der Gewährleistung mit konkreten Daten im Bauvertrag eingetragen waren; im Abnahmeprotokoll aber davon abweichende Beginn- und Endtermine für die Gewährleistungsfrist festgehalten wurden.

Bei einem wechselseitig unterzeichneten Abnahmeprotokoll können diese Vermerke als "rechtsgeschäftliche Abänderungsvereinbarung" gewertet werden, so dass auch hier die Festlegungen im Bauvertrag durch Vermerke im Abnahmeprotokoll abgeändert wurden (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2016, Az: 21 U 183/15).

Für die Praxis

Da Abnahmeprotokolle oftmals von der Auftraggeberseite vorbereitet und von der Auftragnehmerseite nicht mit der gebotenen Sorgfalt gelesen werden, sorgen darin festgehaltene verlängerte Gewährleistungsfristen regelmäßig für eine böse Überraschung beim Auftragnehmer.

Dementsprechend ist insbesondere der Auftragnehmerseite anzuraten, sich vor der Wahrnehmung eines Abnahmetermins mit den grundlegenden vertraglichen Maßgaben (insbesondere mit den Regelungen betreffend die Gewährleistungsfristen) vertraut zu machen und das vorgelegte Abnahmeprotokoll geordnet zu studieren. Denn längst ist die Abnahme kein ausschließlich technischer Vorgang mehr.

Im Zusammenhang mit der Gestaltung von Abnahmeprotokollen hat sich mittlerweile eine Rechtsprechung entwickelt, die insbesondere die Auftragnehmerseite zur Kenntnis nehmen sollte. Die oben angeführten Entscheidungen der drei Oberlandesgerichte liegen auf der Linie der einschlägigen Rechtsprechung und sollten zum Anlass genommen werden, ein beim Abnahmetermin vorgelegtes Abnahmeprotokoll vor der Unterschrift eingehend zu lesen.

Der Autor: Rechtsanwalt Jörg Teller ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Frankfurter Kanzlei SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.


Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Abnahmeprotokoll mit Vertragsergänzung: Besondere Sorgfalt ist geboten