In der modernen Architektur sind großflächige Glaselemente stilbildend. Oft werden die Scheiben mit den Trägerprofilen verklebt. Die dabei verwendeten Glas-Klebstoffe müssen hohe Prüfanforderungen erfüllen.

In der modernen Architektur sind großflächige Glaselemente stilbildend. Oft werden die Scheiben mit den Trägerprofilen verklebt. Die dabei verwendeten Glas-Klebstoffe müssen hohe Prüfanforderungen erfüllen. (Foto: © Vössing)

Glasverklebungen auf dem Prüfstand

Bisherige Prüfverfahren für Glas-Klebdichtstoffe sind in die Jahre gekommen und schwer vergleichbar. Ein innovativer Bewertungsansatz auf Basis multiparametrischer Bruchanalytik eröffnet neue Möglichkeiten bei der Beurteilung der Betriebssicherheit von Klebdichtstoffen in Structural Glazing-Anwendungen.

Moderne Fassadenkonzepte setzen zunehmend auf Structural Glazing, wobei Klebdichtstoffe eine zentrale Rolle spielen. Diese Hochleistungsmaterialien unterliegen strengen Zulassungsverfahren und zeichnen sich durch spezifische mechanische Eigenschaften aus. Aufgrund der anspruchsvollen Anforderungen erfüllen nur wenige Hersteller und Produkte die notwendigen Standards für den Einsatz in der Praxis.

In der Regel bestehen die Klebdichtstoffe aus speziell entwickelten, zweikomponentigen Silikonen, die so formuliert sind, dass sie extreme Belastungen dauerhaft aushalten. Allerdings zeigen Analysen der derzeit gängigen Prüfverfahren, dass viele der etablierten Methoden veraltet sind und keine ausreichende Aussagekraft hinsichtlich der realen Belastungssituationen bieten.

Die vorliegende Untersuchung beleuchtet die Schwächen herkömmlicher Verfahren und stellt neue Analyseansätze vor, die die Sicherheit im Bereich Structural Glazing signifikant erhöhen können.

Grenzen bewährter Prüfverfahren

Klebdichtstoffe spielen im Fassadenbau eine essenzielle Rolle, insbesondere in Structural Glazing-Systemen, wo sie Glas- und Fassadenelemente dauerhaft miteinander verbinden. Um die Qualität dieser Hochleistungsmaterialien sicherzustellen, kommen standardisierte Prüfverfahren zum Einsatz. Allerdings basieren viele dieser Tests auf veralteten Methoden, die den tatsächlichen Belastungsbedingungen nicht mehr gerecht werden.

Zug- und Schertests, wie sie in ASTM C1265-06 [1] und ISO 8339 [2] beschrieben sind, werden häufig zur Bewertung der mechanischen Festigkeit von Klebdichtstoffen herangezogen. Zusätzlich finden beschleunigte Alterungstests Anwendung, um die Langzeitbeständigkeit unter Einwirkung von UV-Strahlung, Feuchtigkeit und hohen Temperaturen zu simulieren [3-7].

Diese klassischen Verfahren sind seit Jahrzehnten etabliert, haben jedoch entscheidende Schwächen: Sie bilden die komplexen Versagensmechanismen in der Grenzschicht der Verklebung nicht realitätsgetreu ab. Aufgrund dieser Defizite wächst das Interesse an innovativen Testmethoden, die eine genauere Analyse der Klebstoffeigenschaften ermöglichen. Ein vielversprechender Ansatz ist die Bruchenergetik-Methode GF, die von Fracture Analytics, Spezialist für die Leistungs- und Sicherheitsbewertung von Klebstoffen und multimateriellen Verbindungen, weiterentwickelt wurde [8-13].

Diese Methode liefert tiefere Einblicke in das Verhalten von Klebdichtstoffen unter realistischen Belastungsszenarien und erlaubt eine zuverlässigere Bewertung der Betriebssicherheit. Der Paradigmenwechsel hin zu fortschrittlicheren Prüfverfahren ist ein entscheidender Schritt, um die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Structural Glazing-Systemen langfristig zu gewährleisten.

Bewertungssysteme für Structural Glazing-Klebdichtstoffe

Abbildung 1: Bildliche Darstellung des Arbeitsablaufs des manuellen Schäl-Haftversuchs. Foto: © Fracture AnalyticsAbbildung 1: Bildliche Darstellung des Arbeitsablaufs des manuellen Schäl-Haftversuchs. Foto: © Fracture Analytics

Die fehlende Standardisierung bei der Qualitätsbewertung von Klebdichtstoffen für Structural Glazing hat dazu geführt, dass Hersteller eigene Prüfverfahren und Richtlinien entwickelt haben. Große Marktakteure wie Dow und Sika haben dabei individuelle Maßstäbe gesetzt, um die Leistungsfähigkeit ihrer Produkte zu definieren. Ein Beispiel ist das "Structural Glazing Handbuch" [14] von Dow, das detaillierte Testvorgaben zur Bewertung von Klebdichtstoffen enthält. Diese Verfahren sind in Tabelle 1 zusammengefasst und verdeutlichen, wie unterschiedlich Hersteller ihre Produkte klassifizieren.

Die daraus resultierende Heterogenität erschwert jedoch einen direkten Vergleich zwischen verschiedenen Klebstoffsystemen und unterstreicht die Notwendigkeit einer objektiven, einheitlichen Bewertungsmethodik. Trotz neuer Entwicklungen in der Analyse von Haftverbindungen sind mechanische Prüfverfahren nach wie vor weit verbreitet, insbesondere bei Anwendungen in der Strukturverglasung und Fassadentechnik. Diese Methoden dienen zur Beurteilung der Festigkeit und Langzeitbeständigkeit von Klebdichtstoffen und sind fest in industriellen Prüfnormen verankert.

Die beiden am häufigsten eingesetzten Verfahren werden im Folgenden näher erläutert. Beide Methoden ermöglichen zwar eine grundlegende Bewertung der Haftungseigenschaften, weisen jedoch erhebliche Einschränkungen auf, insbesondere im Hinblick auf die Erfassung realer Schädigungsmechanismen in der Grenzschicht.

Der manuelle Abreisstest – eine pragmatische, aber unzureichende Methode

Ein gängiges Verfahren zur schnellen Überprüfung der Haftfähigkeit eines Klebdichtstoffs ist der manuelle Abreißtest. Dabei wird der Klebstoff mit mechanischem Kraftaufwand vom Untergrund gelöst, um eine erste visuelle Einschätzung der Haftung vorzunehmen. Wie in Abbildung 1 dargestellt, ist dieses Verfahren besonders für eine Vor-Ort- Prüfung geeignet, da es ohne aufwändige Prüftechnik auskommt.

Allerdings bringt die Methode erhebliche Nachteile mit sich. Die Ergebnisse unterliegen starken Schwankungen, da sie durch äußere Einflüsse wie Temperatur und Feuchtigkeit beeinflusst werden können. Zudem erfolgt die Bewertung rein subjektiv, ohne quantitative Messwerte oder digital erfasste Materialkennwerte. In der Praxis führt dies zu inkonsistenten Resultaten, die keine fundierte Entscheidungsgrundlage für die Materialauswahl bieten.

Aus diesen Gründen wird der manuelle Abreißtest als alleinige Bewertungsmethode nicht empfohlen. Für eine belastbare Analyse der Klebeigenschaften sind modernere Prüfverfahren erforderlich, die reproduzierbare Messwerte liefern und eine differenzierte Betrachtung der Grenzschicht ermöglichen.

Der H-Zugprobentest – eine klassische Methode mit begrenzter Aussagekraft

Der H-Zugprobentest nach ISO 8339 [2] gehört zu den etablierten Prüfverfahren zur Beurteilung der Festigkeit von Klebdichtstoffen. Er ermittelt die maximale Zugkraft, die ein Klebstoffverbund vor dem Versagen aufnehmen kann. Trotz seiner weiten Verbreitung weist dieses Verfahren jedoch einige wesentliche Einschränkungen auf. Da der Test lediglich den Spitzenwert der Belastung im Moment des Versagens misst, bleibt das Schadensverhalten des Materials während der gesamten Prüfung unberücksichtigt.

Wichtige Erkenntnisse über die Rissinitiierung und -ausbreitung in der Grenzschicht zwischen Klebstoff und Substrat werden nicht erfasst. Moderne bruchanalytische Methoden bieten hier deutlich tiefere Einblicke. Sie ermöglichen es, die Lasttragfähigkeit während des gesamten Versagensprozesses zu analysieren und gezielt Rückschlüsse auf die Dauerhaftigkeit der Klebung unter realistischen Belastungsbedingungen zu ziehen. Angesichts dieser Einschränkungen gewinnt die Bruchanalytik zunehmend an Bedeutung für die Bewertung von Klebdichtstoffen in tragenden Fassadenkonstruktionen.

Bruchanalytische Tests

Im Rahmen dieser Untersuchung wurden neun verschiedene Klebdichtstoffe für strukturelle Glasanwendungen bruchanalytisch evaluiert. Die getesteten Produkte stammen von fünf verschiedenen Herstellern und wurden mittels einer eigens entwickelten Methodik der Grenzschichtbruchanalytik bewertet.

Diese Vorgehensweise ermöglicht eine realitätsnahe Beurteilung der mechanischen Belastbarkeit und Langzeitstabilität von Klebverbindungen. Eine detaillierte Übersicht der getesteten Produkte und die Ergebnisse des Tests sind in Tabelle 2 dargestellt.

Materialien und Methoden

Die Bewertungsmethodik des Tests basiert auf einer eigens entwickelten Form der Grenzschichtbruchanalytik, die aus mehreren wissenschaftlichen Publikationen vom Autor dieses Artikels hervorgehen [8-13]. Zur präzisen Beurteilung der Betriebsleistung und Betriebssicherheit dieser Klebdichtstoffe werden vier empirische Bewertungsparameter herangezogen, die im folgenden Abschnitt näher erläutert werden.

Bewertungsparameter zur Betiebssicherheitsanalyse geklebter Strukturverglasungen

1. Grenzschichtablösefestigkeit (σc)
Die kohäsive Grenzschichtablösefestigkeit (σc) beschreibt die Belastbarkeit einer Klebverbindung bei Vorhandensein von Mikrorissen und unter realistischen mechanischen Beanspruchungen. Anders als klassische Zugfestigkeitstests ermöglicht dieser Parameter eine detailliertere Analyse des Versagensverhaltens innerhalb der Grenzschicht. Dabei werden Ablösungsprozesse an den Kontaktflächen zwischen Klebstoff und Substrat erfasst, die einen entscheidenden Einfluss auf die langfristige Stabilität von Structural Glazing- Klebstoffen haben.

2. Grenzschichtablösewiderstand (GF)
Der Grenzschichtablösewiderstand (GF) ist ein energetischer Kennwert, der über bruchmechanische Untersuchungen bestimmt wird. Er gibt Aufschluss über den Widerstand eines Materials gegen das Fortschreiten von Rissen während der gesamten Belastungsphase – von der ersten Rissbildung bis zur vollständigen Trennung. In dieser Studie wurde das Versagensverhalten speziell unter Mode-I-Belastung (Rissöffnung) analysiert, da dieser Modus praxisrelevante Belastungsszenarien für Structural Glazing-Anwendungen widerspiegelt. Die gewonnenen Daten liefern eine deutlich präzisere Einschätzung der Klebperformance als klassische Haftzugtests.

3. Grenzschichtlaststabilität (GLS)
Die Grenzschichtlaststabilität (GLS) ist ein innovativer Bewertungsansatz, der von Fracture Analytics entwickelt wurde. Er misst die Stabilität der Klebverbindung während der Rissausbreitung und gibt an, inwiefern die aufgebrachte Last über einen definierten Zeitraum aufrechterhalten bleibt. Ein stabiler Lastverlauf nach der initialen Rissbildung ist ein entscheidender Faktor für die Sicherheit von Klebverbindungen in Fassadensystemen. In dieser Untersuchung wurde der Wert als relative Größe zur maximalen Lastverschiebung erfasst.

4. Grenzschichtklebsicherheit (GKS)
Die Grenzschichtklebsicherheit (GKS) ist ein neu entwickelter, multiparametrischer Kennwert von Fracture Analytics. Sie kombiniert verschiedene Parameter der Bruchmechanik zu einem umfassenden Maß für die Belastbarkeit von Klebverbindungen. Ziel ist es, eine möglichst realitätsnahe Einschätzung der Klebsicherheit zu ermöglichen. Weitere technische Details zu diesem Bewertungsansatz können direkt beim Autor angefragt werden.

Ergebnisse und Diskussion

Die Untersuchung verschiedener elastischer Kleb- und Dichtstoffe im Structural Glazing liefert aufschlussreiche Ergebnisse, die in Tabelle 3 zusammengefasst sind. Dabei wurden neun Produkte von fünf unterschiedlichen Herstellern untersucht, um eine fundierte Vergleichbarkeit zu ermöglichen und die Aussagekraft der bisherigen Bewertungsmethoden zu hinterfragen. Besonders problematisch ist, dass Hersteller in ihren Datenblättern meist nur klassische Festigkeitswerte angeben, die auf unterschiedlichen Normen beruhen. Dies erschwert direkte Vergleiche erheblich.

Ein bemerkenswerter Aspekt dieser Studie ist der Vergleich zwischen der in der Fracture Analytics- Studie ermittelten Grenzschichtablösefestigkeit und den vom Hersteller angegebenen Festigkeitswerten (siehe Abbildung 2). Die Abweichungen sind signifikant, was auf zwei wesentliche Faktoren zurückzuführen ist: Erstens wurden die Messungen mit unterschiedlichen Testmethoden durchgeführt, und zweitens handelt es sich um unterschiedlich formulierte Produkte mit abweichenden Materialeigenschaften. Für Planer und Anwender stellt dies eine erhebliche Herausforderung bei der Wahl des optimalen Klebprodukts dar.

Darüber hinaus gibt es bislang keinen standardisierten Bewertungsmaßstab für die Leistung von Klebdichtstoffen unter realistischen Bedingungen, insbesondere bei vorhandener Vorschädigung (Rissbildung). Diese Forschung schließt diese Lücke, indem sie erstmals einen umfassenden empirischen Vergleich von Structural Glazing-Klebstoffen ermöglicht. Interessanterweise zeigen nicht alle speziell für Strukturverglasungen entwickelten Produkte die besten bruchmechanischen Eigenschaften zur Kontrolle der Rissausbreitung. In bestimmten Belastungsszenarien erzielen beispielsweise handelsübliche SMP-basierte Dichtstoffe aus dem Baumarkt – wie D1 – vergleichbare Werte.

Ebenso liefern einige für Fensterverglasungen entwickelte Produkte, wie B3, überraschend hohe Leistungswerte. Dennoch zeigen die Gesamtbewertungen, dass sämtliche geprüften Produkte durchweg hohe Standards erfüllen. Kein getesteter Klebstoff erhielt eine Bewertung unter vier Sternen. Eine detaillierte Übersicht zu den einzelnen Testergebnissen ist in Tabelle 3 zu finden. Weitere technische Informationen können auf Anfrage direkt beim Autor eingeholt werden.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Ergebnisse dieser Untersuchung verdeutlichen die Notwendigkeit, die Prüfverfahren für Structural Glazing-Klebstoffe zu überarbeiten. Bisher dominieren klassische Methoden wie der H-Zugprobentest und der manuelle Schäl- Haftversuch die Beurteilung von Klebverbindungen. Diese Verfahren sind jedoch nicht in der Lage, die komplexen Versagensmechanismen unter realen Belastungsbedingungen abzubilden.

Durch den Einsatz fortschrittlicher multiparametrischer Bruchanalysen lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den von Herstellern ausgewiesenen Festigkeitswerten und den tatsächlichen Materialeigenschaften aufzeigen. Die von Fracture Analytics durchgeführte Studie leistet hierzu einen wesentlichen Beitrag, indem sie die bestehenden Bewertungsmethoden kritisch hinterfragt.

Die Einführung neuer Sicherheitsparameter ermöglicht eine detailliertere Beurteilung der Klebleistung unter Vorschädigung und stellt damit eine erhebliche Verbesserung gegenüber herkömmlichen Festigkeitsmessungen dar. Die gewonnenen Erkenntnisse sind insbesondere für anspruchsvolle Fassadenanwendungen von großer Bedeutung, da sie zur langfristigen Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Structural Glazing-Systemen beitragen.

Die empirische Analyse verschiedener Produkte unterschiedlicher Hersteller zeigt eine deutliche Bandbreite in der Klebstoffperformance und verdeutlicht zugleich die Notwendigkeit einheitlicher Bewertungsstandards.

Der Vergleich zwischen klassischen Festigkeitswerten und modernen Bruchanalysedaten unterstreicht die Einschränkungen der aktuellen Praxis. Gleichzeitig eröffnet er neue Möglichkeiten für die Optimierung von Produktwahl und Spezifikation. Die in dieser Studie vorgestellten Erkenntnisse setzen einen neuen Maßstab für die Bewertung von Structural Glazing-Klebstoffen und unterstützen die Einführung präziserer und zuverlässigerer Prüfmethoden. Durch die Weiterentwicklung der Testverfahren kann auch eine höhere Transparenz für Planer, Ingenieure und Verarbeiter geschaffen werden. Langfristig profitieren sowohl Hersteller als auch Anwender von diesen Innovationen, da sie zur Realisierung nachhaltiger und widerstandsfähiger Fassadensysteme beitragen.


Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Glasverklebungen auf dem Prüfstand