Ist Verbundsicherheitsglas bald recycelbar?
Wie entwickelt sich das Marktsegment Sicherheitsglas, und wie ist der aktuelle Stand der Forschung hinsichtlich einer Recyclingtechnologie für demontierte Verbundgläser?
Antworten geben Steffen Schäfer, Technischer Leiter beim Bundesverband Flachglas, und Dr.-Ing. Miriam Schuster von der TU Darmstadt.
Das Thema "Sicherheitsglas" erscheint relevant: Viele Glashersteller stärken ihre VSG-Produktion, entwickeln dünnere Verbunde für die Einsparung von Rohstoffen, Energie und Gewicht in Fassaden oder stoßen in höchste Sicherheitsklassen vor. Bulletproof, Explosionsschutz etc. scheinen in schwer einschätzbaren, unsteten Zeiten mehr Interesse zu erzielen, insbesondere für systemrelevante Infrastruktur.
Leichtes Absatzplus prognostiziert
Für den Bundesverband Flachglas e.V. (BF) untersucht die B+L Marktdaten GmbH schon seit 20 Jahren regelmäßig die Märkte für Fenster und Fassaden in allen für deutsche Unternehmen relevanten Weltmärkten. Dazu gehört auch die Beobachtung der Produktionsmengen und Absätze der unterschiedlichen "Sorten" Floatglas, beschichtetes Glas, Einscheibensicherheitsglas, Verbundsicherheitsglas und Isolierglas.
"Während alle Glassorten seit 2022 von Absatzrückgängen betroffen sind, stagniert die Sorte Verbundsicherheitsglas auf relativ hohem Niveau, für 2025 wird sogar ein leichtes Absatzplus zum Vorjahr prognostiziert. Dieses resultiert unter anderem aus einem steigenden Interesse an Sicherheitsglasanwendungen und der sehr aktiven Arbeit an der DIN 18008 in den letzten Jahren. Erfreulicherweise werden am Markt VSG-Produkte bevorzugt angefragt, insbesondere im Vergleich zu Basisgläsern", erläutert Steffen Schäfer.
Zu den großen Herausforderungen der Flachglasindustrie – aber gleichzeitig zu ihren Chancen – zählt er auch beim Sicherheitsglas die steigenden Anforderungen für mehr Wirtschaftlichkeit und an die Nachhaltigkeit: "Hier bewegt sich in der Glasbranche schon einiges – die Hersteller nutzen verstärkt erneuerbare Energie, sparen Ressourcen, entwickeln Produkte mit geringerem CO2-Footprint und effektive Wege, um ihre Kreisläufe zu schließen. Sie wissen, wenn sie hier investieren, schaffen sie sich für die Zukunft eine gute Wettbewerbsposition im globalen Wettbewerb."
Verbundsicherheitsglas recyceln
Nach dem VSG-Trennverfahren erhält man intakte Glasscheiben und große, von Glasstaub freie Folienstücke. Foto: © Dr.-Ing. Miriam Schuster, TU DarmstadtNachhaltigkeit ist inzwischen auch wirtschaftlich ein Wettbewerbsvorteil. Hier jedoch hat Verbundsicherheitsglas bislang eine schwierige Position, denn es kann aufgrund der Folienverbindung schwer recycelt werden.
Hier sind Lösungen in Sichtweite, berichtet Dr.-Ing. Miriam Schuster, Leiterin der Forschungsgruppe Glas und Polymere am Institut für Statik und Konstruktion der Technischen Universität Darmstadt: "Wir erforschen neue Wege zur sortenreinen Trennung und Wiederverwertung von Verbundsicherheitsgläsern, denn diese sind heute ein integraler Bestandteil moderner Architektur, im Innenraum und in der Fassade.
Während das Glas theoretisch vollständig recycelbar ist und PVB als thermoplastisches Material grundsätzlich auch wiederverwertet werden kann, sieht die Realität ernüchternd aus: Der Großteil alter VSG-Elemente wird zerkleinert und die Glasscherben in andere Industrien überführt, zum Beispiel zur Produktion von Glaswolle oder Hohlglas. Der Großteil der PVB-Reste wird deponiert oder verbrannt. Die Trennung von Glas und Zwischenschicht stellt bislang das größte Hindernis für einen echten Recycling- oder Re- Use-Kreislauf dar."
Innovatives Verfahren vorgestellt
Ein Forscherteam um Dr.-Ing. Miriam Schuster und Prof. Dr. Johannes Kuntsche vom Lehrstuhl Konstruktiver Ingenieurbau der Hochschule Darmstadt hat sich dieser Herausforderung gestellt. Auf der Konferenz "CircuClarity One", die 2024 auf der glasstec stattfand, haben sie Voruntersuchungen zu einem innovativen Verfahren vorgestellt, mit dem VSG ohne Glasbruch und ohne PVB-Kontamination sortenrein getrennt werden kann. Ziel ist es, die Wiederverwendung (Re-Use) oder das Closed-Loop- Recycling der Glasplatten als auch das Recycling der PVB-Folie zu ermöglichen.
Ihr Trennverfahren basiert auf einem vierstufigen Prozess:
1. Erwärmen: Die Glasproben werden auf ca. 170–220 °C erhitzt, bis sich der sogenannte "Daisy-Effekt" (Bläschenbildung in der Folie) vollständig ausgebildet hat.
2. Mechanisches Trennen: Die Verbunde werden in einer händisch geführten Vorrichtung scherbelastet und auseinandergezogen. Entscheidend: Es kommt zu einer kohäsiven Trennung der Zwischenschicht, ohne das Glas zu beschädigen.
3. Wasserbehandlung: Eine Wärmebehandlung in Wasser führt zu einer verbesserten Abtrennung.
4. Peeling: Abschließend wird die verbleibende Zwischenschicht mechanisch abgezogen. Untersucht wurden frisch hergestellte Proben verschiedener Aufbauarten, unterschiedlicher PVB-Haftungsgrade (hoch, mittel), unterschiedlichen Feuchtegehalts der Zwischenschicht (0,32–0,66 Prozent), unterschiedlicher Laminationsverfahren – und gealterte Proben.
Zudem wurden unterschiedliche Temperaturen für Schritt 1 untersucht. Das Ergebnis: Mit tieferer Temperatur steigt die Zeit, bis der Daisy-Effekt vollkommen ausgebildet ist. Die Haftung des PVB beeinflusst maßgeblich den Trennprozess beim Peeling in Schritt vier, jedoch nicht signifikant das mechanische Trennen im zweiten Schritt.
Neue Perspektiven durch Trennung von VSG
Die erfolgreiche Trennung von VSG ermöglicht das Closed-Loop-Recycling als Scherben in Floatglasanlagen und sogar die Wiederverwendung, beispielsweise als Glasplatten in Sekundäranwendungen.
Für eine erfolgreiche, praxisnahe und industrielle Umsetzung sieht Schuster aber weitere Schritte erforderlich, wie eine vertiefte Analyse des Daisy-Effektes bei der Erwärmung von VSG, die industrielle Skalierung des Heizverfahrens oder das automatisierte Peeling, die Optimierung der Prozessparameter und eine Bewertung der Materialqualität nach Trennung. Ein entsprechender Forschungsvorschlag zur Weiterentwicklung wurde bereits eingereicht.
Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Ist Verbundsicherheitsglas bald recycelbar?
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