Im Rahmen des Projekts wurde eine beachtliche Planungstiefe erreicht, wie dieser Fassadenentwurf der Studierenden Tobias Dirnberger und Wilhelm Franke zeigt.

Im Rahmen des Projekts wurde eine beachtliche Planungstiefe erreicht, wie dieser Fassadenentwurf der Studierenden Tobias Dirnberger und Wilhelm Franke zeigt. (Foto: © Tobias Dirnberger / Wilhelm Franke)

Interdisziplinäre Fassadenplanung

Welche Vorteile eine interdisziplinäre Herangehensweise an das komplexe Thema Fassadenplanung bringt und wie diese gelehrt werden kann, zeigt die erfolgreiche Umsetzung eines Seminars im Fachbereich Architektur der Fachhochschule Erfurt.

Studierende des Master-Studiengangs Architektur der FH Erfurt haben im Wintersemester 2021/2022 im Rahmen eines Projekts im Seminar "Fassade - Gestaltung und Funktion" Fassadenentwürfe für eine vorgegebene Gebäudestruktur entwickelt.

Betreut wurden die Arbeiten interdisziplinär durch den Fassadenplaner Dipl.-Ing. Andree Franke (IBF - Ingenieurbüro Franke) und Prof. Oliver Sachse (Entwurf und Baukonstruktionslehre FH Erfurt). Als Gastkritiker unterstützte Architekt Hans Aescht (Berlin) das Projekt.

Seminarthema und Kontext

Fassaden sind sowohl das Gesicht als auch die räumliche Hülle eines Gebäudes. Sie bestimmen den Ausdruck und die Wahrnehmung der Architektur und bilden zugleich technisch, funktional und räumlich die Schnittstelle zwischen Innen- und Außenraum.

Um der Bandbreite der Anforderungen an zeitgenössische Gebäudehüllen – von der räumlich- klimatischen thermischen Trennung (sommerlicher wie winterlicher Wärmeschutz), der Funktionalität (Sichtbeziehung, Öffenbarkeit, Austritt) und Aspekten der Belichtung (Lichteintrag, Verschattung, Blendschutz, Tageslichtlenkung) über Belüftung, Statik, Brandschutz, Schallschutz und Sicherheitsanforderungen bis hin zu den Fragestellungen des Materialeinsatzes und der Reversibilität als einige Kriterien der Nachhaltigkeit – gerecht zu werden, müssen gestalterische Intentionen und komplexe funktionale sowie technisch-konstruktive Aspekte in einem Entwurf integriert und in der Planung verdichtet werden.

Durch die jahrelange erfolgreiche Zusammenarbeit als verantwortlicher Entwurfsarchitekt bzw. Fassadenberater für die Vorteile interdisziplinärer Kooperation sensibilisiert, entstand der Ansatz durch Oliver Sachse und Andree Franke, diese in der Ausbildung junger Architekt:innen zu thematisieren. Ziel ist es, die methodische Kompetenz und das Fachwissen für das Entwerfen von Fassaden zu vermitteln und realitätsnahe Entwürfe sowie Konzepte für deren technische Umsetzung zu entwickeln.

Die Fassadenplanung ("Fachingenieurleistungen für Fassadentechnik") ist eine noch vergleichsweise junge Fachdisziplin, die sich im Zuge einer Spezialisierung als Antwort auf gestiegene Komplexität der Anforderungen an das Bauteil Gebäudehülle in Deutschland etwa seit den 1970 Jahren entwickelt und mittlerweile etabliert hat. Den Anstoß gaben die Planungsbüros der Hersteller von Metallbau- Fassaden, die als spezialisierte Fachbüros mit ihrer Expertise in der Bandbreite der relevanten Themen rund um die Fassade eine eigene Disziplin zur Unterstützung der Architekturplanung begründet haben.

Bei größeren Bauvorhaben sind spezialisierte Fassadenplaner im Planungsteam inzwischen häufig unverzichtbar. In der über einzelne Fachdisziplinen hinausreichenden Komplexität der Entwurfsund Planungs-Aufgaben und der dazugehörenden zu integrierenden Parameter und Betrachtungsebenen ist die interdisziplinäre Arbeit wesentlich. Zentral ist dabei die Fähigkeit, verschiedene Sichtweisen einnehmen und unterschiedliche Optimierungsziele verhandeln zu können. Denn ein Fassadenplaner hat gegebenenfalls andere Kriterien an einen gelungenen Fassadenentwurf als ein zunächst formal arbeitender Architekt.

Baustein des Architektur-Lehrplans

Zu Beginn des Seminars Fassade - Gestalt und Funktion wurden alle relevanten Anforderungen an die zu planende Fassade zusammengetragen. Im Verlauf des Prozesses mussten die Studierenden ihre Gestaltungsintention immer wieder auf Erfüllung der Anforderungen überprüfen und anpassen. Foto: © Prof. Oliver SachseZu Beginn des Seminars Fassade - Gestalt und Funktion wurden alle relevanten Anforderungen an die zu planende Fassade zusammengetragen. Im Verlauf des Prozesses mussten die Studierenden ihre Gestaltungsintention immer wieder auf Erfüllung der Anforderungen überprüfen und anpassen. Foto: © Prof. Oliver Sachse

Die Integration verschiedener Fachplanungen ist eine Kernaufgabe der Architektur, auf die das Studium bereits vorbereiten sollte. Neben Fachkenntnissen aus den einzelnen Bereichen muss vor allem auch die methodische Kompetenz erlernt werden, verschiedene Denkweisen und Fachkenntnisse zusammenzuführen. Entsprechend ist in der Architekturausbildung an der FH Erfurt die interdisziplinäre Arbeit essentieller Bestandteil des Curriculums.

Das Master-Seminar Fassade "Gestalt und Funktion" ist ein Baustein in einer Reihe verschiedener interdisziplinärer Lehr-Formate, die das integrale Denken technischer, funktionaler und gestalterischer Aspekte zum Ziel hat. Diese Formate reichen von Konsultationen seitens Lehrender anderer Fachdisziplinen über Kurse mit Studierenden angrenzender Fakultäten (z.B. Stadtplanung, Landschaftsarchitektur oder Gebäudetechnik) bis hin zu interdisziplinär konzipierten Studienprogrammen mit inhaltlichem Fokus ("Interdisziplinärer Holzbau" in Kooperation mit Bauingenieurwesen).

Aufgabe und Methodik

Doch wie gelingt es, eine Gestaltungsintention integral unter Berücksichtigung vielfältiger Planungsparameter zu entwickeln und einen Fassadenentwurf so durchzuarbeiten, dass die zentrale Entwurfsidee erhalten bleibt? Mit welchen Mitteln kann sie umgesetzt werden, und wie entwickelt sich eine Gestaltungsidee weiter, wenn sie sich dem breiten Spektrum an Anforderungen stellen muss?

Erfolgreiches Projekt

Bei dem Erfurter Projekt im Wintersemester 2021/2022 ging es exemplarisch darum, anhand eines gegebenen Gebäudevolumens für ein aus zwei Baukörpern bestehendes freistehendes Ensemble (5- bis 16-geschossig) an einer Straßenkreuzung in Berlin einen Fassadenentwurf zu entwickeln. Die Studierenden hatten die Wahl zwischen einer Wohnnutzung als Apartments, einer Büronutzung oder einer Mischung beider Nutzungsarten.

Nach der Analyse realisierter Referenzprojekte wurden zunächst gestalterische Konzepte in der Auseinandersetzung mit städtebaulichem Kontext, Gebäudevolumen und Nutzung erarbeitet. Die jeweils von den Studierenden gewählten Gestaltungsthemen wurden in Varianten entwickelt. Im weiteren Prozess der Entwürfe wurde dann schrittweise die Komplexität der funktionalen Anforderungen mit Hinzunahme weiterer Betrachtungsebenen erhöht, um den Zusammenhang zwischen Gestalt und Funktion auszuloten.

So wurde die Gestaltungsidee immer wieder unter Berücksichtigung dieser zunehmenden Komplexität der betrachteten Planungsparameter auf den Prüfstand gestellt. Die Kriterien hierfür wurden im Laufe des Seminars gemeinsam von Studierenden und Lehrenden in einem Katalog für die Bewertung der Entwürfe aufgestellt. Die Fassadenentwürfe mündeten schließlich in Plan- und Modelldarstellungen, einer Fassadensystem- Planung bis in den Maßstab 1:20 und Visualisierungen von innen und außen sowie Materialcollagen.

Ergebnisse und Fazit

Die Ergebnisse weisen entsprechend der Offenheit der Aufgabe eine große Bandbreite unterschiedlicher Ansätze aus: Gestalterisch reichten sie von eher flächigen, geschossübergreifenden Gliederungen bis zur Akzentuierung der geschossweisen Organisation durch Betonung der Deckenstreifen, und im Aufbau von einsichtigen, eher flachen oder reliefartigen Aufbauten über mehrschichtigen Fassaden mit räumlicher Tiefe bis zu einem zusätzlichen (außen-)räumlichen Angebot umlaufender Balkonzonen.

Die Wahl der konstruktiven Mittel in der Fassade folgt dabei der Gestaltungsintention, deren Umsetzung in dem oben beschriebenen iterativen Prozess entwickelt wurde. Entsprechend kommen auch konstruktiv verschiedene Materialien und Systeme zur Anwendung, von einschichtigen vertikalen Fensterbändern mit im Scheibenzwischenraum liegenden Jalousien über Pfosten- Riegel-Fassaden mit vertikalen Lamellen und Wartungsgang bis zu raumhaltigen mehrschichtigen Aufbauten mit Schiebeelementen und Balkonzonen als Wohnraumerweiterung.

Die Begleitung des Seminars aus der Praxissicht eines Fassadenberaters hat die Kreativität der gestalterischen Ansätze keineswegs eingeschränkt, sondern den Fokus auf heute wichtige Maßstäbe hinsichtlich Nachhaltigkeit, Drittverwertung, innovative Baustoffe, Recyclingfähigkeit, Tageslichtnutzung etc. gelegt. Auch Kosten (bzw. konstruktiver Aufwand) waren immer wieder Thema im Seminarverlauf. Hier ging es im Wesentlichen um eine Sensibilisierung für die Wahl der angemessenen Mittel, um sich dieser Thematik im beruflichen Wettbewerb stellen zu können.

Die unterschiedlichen Perspektiven auf die Fragestellungen, die es gegeneinander abzuwägen gilt, führen zu einer inhaltlichen Anreicherung und Schärfung der Gestaltungskonzepte, und das eingebrachte praxisnahe Fachwissen stellt einen konkreten Realitätsbezug her. Gestalterische Intention muss sich der Realität stellen. Denn letztlich geht es in Entwurf und Planung um die Qualität einer zukünftigen Realität.

Die Bandbreite der anspruchsvollen, vor allem auch umsetzbaren gestalterischen Ansätze, die planerische Umsetzung in technischen Lösungen sowie der vollzogene Entwicklungsprozess zeigen klar die Potenziale interdisziplinärer Betreuungsansätze auf.


Die Autoren: Prof. Oliver Sachse,
Entwurf und Baukonstruktionslehre, FH Erfurt
Dipl.-Ing. Andree Franke,
IBF - Ingenieurbüro Franke, Glienicke/Nordbahn


Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Interdisziplinäre Fassadenplanung

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