Fälle, bei denen Auftraggeber ihren Auftragnehmern gekündigt haben, beschäftigen regelmäßig die Gerichte. Die Gemengelage ist jedes Mal individuell, und so fallen Urteile für den einen oder anderen Beteiligten schon mal überraschend aus.

Fälle, bei denen Auftraggeber ihren Auftragnehmern gekündigt haben, beschäftigen regelmäßig die Gerichte. Die Gemengelage ist jedes Mal individuell, und so fallen Urteile für den einen oder anderen Beteiligten schon mal überraschend aus. (Foto: © Vössing)

Bedenken mitgeteilt, Kündigung erhalten

Der Auftraggeber eines VOB-Bauvertrages kann dem Auftragnehmer den Auftrag grundsätzlich dann entziehen, wenn dieser den Beginn der Ausführung verzögert oder mit der Vollendung in Verzug gerät und eine gesetzte (Nach-)Frist zur Vertragserfüllung fruchtlos verstrichen ist.

Aber wie ist die Situation, wenn der Auftragnehmer Bedenken gegen die geforderte Art und Weise der Ausführung der vereinbarten Arbeiten mitteilt, der Auftraggeber diese aber ignoriert und den Vertrag verzugsbedingt kündigt?

Die Fragestellung ist für Bauausführende hochinteressant. Wie verhält es sich, wenn der Auftragnehmer Bedenken gegen die vom Auftraggeber vorgesehene Art der Ausführung (§ 4 Abs. 3 VOB/B) formuliert, der Auftraggeber seinerseits die Bedenken "links liegen" lässt und den Auftragnehmer somit zur Ausführung einer möglicherweise schadensträchtigen und mangelhaften Bauleistung zwingen will? Darf der Auftraggeber berechtigterweise kündigen, wenn sich der Auftragnehmer hierauf nicht einlässt?

Derartige Fallgestaltungen beschäftigen regelmäßig die Gerichte und können zu langen und teuren Bauprozessen führen. Das Oberlandesgericht Dresden hat sich in einem kürzlich veröffentlichten Urteil mit einem solchen Fall beschäftigt und bemerkenswerte Erkenntnisse herausgearbeitet.

Aktueller Fall

Der Auftraggeber hat den Auftragnehmer im Rahmen eines VOB-Vertrages unter anderem mit Fassadenreinigungsarbeiten an einem Ausbildungszentrum beauftragt. Die Fassadenreinigung sollte die Grundlage für eine anschließende Fassadensanierung schaffen. Der über dem Wärmedämmverbundsystem vorhandene Putz wies Schäden auf. Zwischen den Parteien kam es jedoch zum Streit über die Art der Reinigung.

Der Auftragnehmer vertrat die Ansicht, die ausgeschriebene und vereinbarte Reinigung mit Druckwasser (60 bar) genüge auf Grund des Verschmutzungsgrades der Wand nicht und werde wegen der im Putz vorhandenen Löcher und Risse das Wärmedämmverbundsystem schädigen. Eine Reinigung müsse mit Bürsten erfolgen. Der Auftraggeber hielt dagegen die ausgeschriebene Leistung für geeignet, um den angestrebten Erfolg herbeizuführen. Er wies den Auftragnehmer an, mit höherem Wasserdruck zu arbeiten. Sollten Schäden an der Fassade entstehen, würde er insoweit keine Gewährleistungsansprüche geltend machen.

Der Auftragnehmer ließ sich nicht darauf ein. In Folge kündigte der Auftraggeber den Vertrag. Anschließend beauftragte der Auftraggeber einen weiteren Unternehmer mit der Fassadenreinigung. Dieser erzielte unter Anwendung einer "Hochdruck-Krake" ein zufriedenstellendes Reinigungsergebnis. Im Rahmen des sich anschließenden Rechtsstreits klagte der Auftragnehmer seine Vergütung ein. Der Auftraggeber seinerseits begehrte im Rahmen einer Widerklage die Erstattung der Mehrkosten durch die Beauftragung eines weiteren Unternehmers (OLG Dresden, Urteil vom 29.06.2022, Az. 22 U 1689/20).

Entscheidung des OLG Dresden

Während das Oberlandesgericht Dresden dem Auftragnehmer Vergütungsansprüche zuerkennt, hat der Auftraggeber mit seiner Widerklage keinen Erfolg. Das Gericht weist darauf hin, dass der Auftraggeber dem Auftragnehmer beim VOB-Bauvertrag nach § 8 Abs. 3 i. V. m. § 5 Abs. 4 VOB/B den Auftrag entziehen kann, wenn dieser den Beginn der Ausführung verzögert oder mit der Vollendung in Verzug gerät und eine gesetzte angemessene Nachfrist zur Vertragserfüllung fruchtlos abläuft.

Dabei sei aus Sicht des Gerichts zu berücksichtigen, dass der Auftragnehmer nicht in Verzug gerät, wenn er einer Weisung des Auftraggebers nicht folgt, die seine geltend gemachten Bedenken treuwidrig nicht berücksichtigt. Gegen Treu und Glauben verstoße eine Anweisung des Auftraggebers aus Sicht des Oberlandesgerichts Dresden vor allem, wenn danach die Werkleistungen auf eine gegen den Bauvertrag und gegen die Regeln der Technik verstoßende Weise erbracht werden soll, ohne dass eine Freistellung von der Gewährleistung erfolgt; denn der Auftragnehmer sei nicht verpflichtet, sich einen seiner begründeten Meinung nach ernstlich drohenden Gewährleistungsfall nicht absehbaren Ausmaßes geradezu aufzwingen zu lassen.

Daher stehe dem Auftragnehmer nach Treu und Glauben ein Leistungsverweigerungsrecht zu, wenn er dem Auftraggeber nicht nur ordnungsgemäß seine Bedenken mitgeteilt hat, sondern wenn die Prüfung dieser Bedenken mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ergebnis hat, dass die vom Auftraggeber vorgesehene Art der Ausführung zum Eintritt eines erheblichen Leistungsmangels oder eines sonstigen nicht nur geringfügigen Schadens führen wird. Aus Sicht des Oberlandesgerichts kann somit eine Bedenkenmitteilung vor einer verzugsbedingten Kündigung schützen (OLG Dresden, Urteil vom 29.06.2022, Az. 22 U 1689/20).

Für die Praxis

Die vom Oberlandesgericht Dresden entschiedene Fallkonstellation ist in der Praxis oft zu beobachten. Das Urteil stärkt die Position des Auftragnehmers und gibt dem Auftraggeber auf, Bedenken sorgfältig zu prüfen und – auch wenn dies im Einzelfall mit Kosten und einer Verlängerung der Bauzeit verbunden sein kann – den Bedenken des Auftragnehmers abzuhelfen, indem eine geänderte Ausführung abgestimmt/angewiesen wird, die den Bedenken Rechnung trägt.

Die Auftragnehmerseite wird hinsichtlich des Urteils daran erinnert, dass die zentrale Rechtsfolge einer berechtigten Bedenkenmitteilung eine Haftungserleichterung zu Gunsten des Auftragnehmers ist. Das vom Gericht angesprochene Leistungsverweigerungsrecht kommt (nur) dann in Betracht, wenn die fehlende Behandlung der Bedenken durch den Auftraggeber nachweislich zum Eintritt eines erheblichen Leistungsmangels oder eines sonstigen erheblichen Schadens führen wird.

Das Urteil ist ein deutlicher Fingerzeig in Richtung der Auftraggeber, die bereits bei einer berechtigten Bedenkenmitteilung die Kündigung des Auftragnehmers erwägen, oder dem Auftragnehmer trotz geäußerter Bedenken eine schadens- und damit streitträchtige Ausführung aufzwingen wollen.


Der Autor: Rechtsanwalt Jörg Teller ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Frankfurter Kanzlei SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.


Weitere Informationen: Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Bedenken mitgeteilt, Kündigung erhalten

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