Ihre Intention ist, mehr Klarheit und Verlässlichkeit in die laufende Diskussion zu bringen.
Prof. Christian Niemöller ist Gründungssozius und Mitinhaber der in Frankfurt am Main ansässigen Kanzlei SMNG, die Rechtsberatung rund um das Bauen und die Immobilie anbietet. Er ist als Autor und Referent mit Fragen aus dem Bereich der Normung, Zertifizierung und der CE-Kennzeichnung tätig. Als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht lehrt er Bauvertragsrecht an der Staatlichen Studienakademie des Landes Baden-Württemberg in Mosbach. Foto: © SMNGGebäudehülle: Warum wurde die BauPVO 2011 überarbeitet?
Niemöller: Die Erwägungsgründe zur BauPVO 2024 zeigen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in mancher Hinsicht für "unzureichend leistungsfähig", also für wenig ausgereift erachtet wurden. Als defizitär eingeschätzt wurden insbesondere die Regelungen betreffend der Erarbeitung von Normen sowie der Marktüberwachung. Die EU-Kommission sah sich auch veranlasst, die rechtlichen Verpflichtungen der Wirtschaftsakteure an andere EU-Vorschriften anzupassen und in diesem Zuge sowohl den Kreis dieser Akteure als auch den Anwendungsbereich selbst zu erweitern, beispielsweise auf gebrauchte Bauprodukte oder digitale Komponenten. Auf diese Weise sollen insbesondere auch Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien stärkere Berücksichtigung finden und die Digitalisierung des Bausektors vorangetrieben werden.
Gebäudehülle: War die Überarbeitung aus Ihrer Sicht notwendig?
Breckl-Stock: Die überwiegende Mehrheit der Baubeteiligten hätte sich sicherlich geringfügigere Korrekturen gewünscht – immerhin umfasst die BauPVO 2024 knapp 30 Artikel mehr als die ursprüngliche BauPVO 2011. Die umfangreichen Konsultationen vor der Überarbeitung zeigen jedoch, dass die EU-Kommission hier eine andere Sichtweise vertritt. Nicht zuletzt durch Ergänzung neuer Eigenschaften und Anpassung an die bevorstehenden Herausforderungen im Bausektor in puncto Klimawandel, Klimaresilienz und Digitalisierung hat die Überarbeitung ihre Berechtigung.
Gebäudehülle: Ist das "neue" Regelwerk für die Baubranche noch verständlich, es ist ja deutlich umfangreicher als die "alte" Fassung?
Harr: Persönlich habe ich da Bedenken, auch wenn der umfangreichere Text dem Willen geschuldet sein soll, die baurechtlichen Aspekte klarer und eindeutiger zu regeln. Die Bereitschaft, sich mit "neuen" Vorgaben zu beschäftigen, sinkt automatisch, wenn man die Wirtschaftstakteure mit ausufernden Verpflichtungen "überfordert", auch wenn dies aus einem guten Willen bzw. mit Blick auf ein lobenswertes Ziel erfolgt. Dennoch muss die Baubranche mit der aktuellen Fassung arbeiten, und das ift Rosenheim und wir von SMNG werden die Anwendung durch praxisgerechte Informationsangebote unterstützen.
Gebäudehülle: Gelten sämtliche Regelungen der neuen BauPVO unmittelbar seit dem 7. Januar 2025 oder gibt es eine Übergangsfrist?
Niemöller: Für das Inkrafttreten gibt es eine zeitliche "Staffelung". Die Artikel, die sich auf die Entwicklung harmonisierter Normen und Produktanforderungen beziehen, gelten bereits seit dem 7. Januar 2025. Die übrigen Vorschriften gelten ab dem 8. Januar 2026. Bis dahin sollen die staatlichen Stellen die Voraussetzungen für eine praktische Umsetzung schaffen. Dies gilt insbesondere für die Regelungen zum digitalen Produktpass. Zudem gibt es noch eine Ausnahmeregelung bezüglich der Sanktionen, die die Mitgliedstaaten regeln müssen; diese Vorgabe muss erst bis zum 8. Januar 2027 erfüllt sein.
Dipl.-Ing. (FH) Michael Breckl-Stock, M.Eng., MBA ist seit 2021 Technischer Geschäftsführer (CTO) des Instituts für Fenstertechnik (ift) in Rosenheim. Er vertritt das ift in mehreren Normen- und Fachausschüssen im Bereich Bauwesen und im Bereich der persönlichen Schutzausrüstungen (PSA). Zudem ist er als Fachbegutachter für die Deutsche und Schweizerische Akkreditierungsstelle tätig. Foto: © ift RosenheimGebäudehülle: Was müssen die Hersteller von Fenstern und Türen jetzt schon beachten?
Breckl-Stock: Für Bauprodukte und natürlich deren Hersteller wird die neue BauPVO verpflichtend, sobald es eine nach der neuen Verordnung überarbeitete und harmonisierte Produktnorm gibt und die dafür erwartete Koexistenzphase beendet ist. Für Fenster und Türen erwarten wir dies für das Jahr 2029. Bis dahin gelten die bekannten Verfahren der "alten" BauPVO (305/2011) und die Regelungen der bisher harmonisierten Produktnormen weiter. Die Festlegungen der neuen BauPVO gelten daher noch nicht für Fenster, Außentüren, Fassaden oder auch Tore. Für Hersteller, die europäische Bewertungsdokumente (EAD) und technische Bewertungen (ETA) verwenden, gelten jedoch deutlich kürzere Übergangsregelungen. So sind EAD, die im Amtsblatt der EU noch unter der "alten" BauPVO veröffentlicht wurden, nach dem Datum der Anwendbarkeit, d.h. dem 8. Januar 2026, nur noch fünf Jahre gültig. Konkret sind diese EAD also noch maximal bis zum 9. Januar 2031 gültig. ETAs, die auf Basis solcher EAD ausgestellt wurden, können in den meisten Fällen bis zum 8. Januar 2036 als Grundlage für die CE-Kennzeichnung verwendet werden. Hier lohnt es sich jedoch im Vorfeld weiter ins Detail einzusteigen.
Gebäudehülle: Gelten die BauPVO 2011 und die BauPVO 2024 parallel?
Breckl-Stock: Nein, es gibt keine "Sowohlals- auch"-Anwendung. Jedoch besteht die Möglichkeit, dass einzelne Produkte, wie z.B. Isolierglas oder bestimmte Beschläge, weiterhin nach der "alten" BauPVO gekennzeichnet werden müssen, während Fenster und Türen nach Inkrafttreten der neuen Produktnorm nach den dann neuen Regeln zu kennzeichnen sind. Dieser Umstand liegt darin begründet, dass nicht alle Produktnormen zur gleichen Zeit überarbeitet werden können. So sind Fenster und Außentüren in der Priorität der zu überarbeitenden Produktnormen auf Position 4, direkt nach den Normen für Betonfertigteile, Baustahl und Bewehrungsstahl, während Vorhangfassaden zurzeit an Position 15 stehen und Glas an Position 28. Hier gibt es Bestrebungen, eine sog. "Fast-Track"-Ausarbeitung zu starten, um auch bei Glas früher mit der Überarbeitung der Produktnorm beginnen zu können, jedoch liegt hierzu noch keine Entscheidung vor. Basis für die Festlegung der Prioritäten war eine Prioritäten-Umfrage der Kommission bei den Mitgliedsstaaten.
Gebäudehülle: Sind die Normungsprozesse denn nicht sehr langwierig?
Niemöller: Natürlich dauern konsensbasierte Prozesse wie die Erstellung von Normen länger, aber wir müssen hier zwei Dinge unterscheiden: Wesentliches Problem waren bisher die unvollständigen, aber verpflichtenden Normungsaufträge der Kommission an CEN als zuständige Normungsorganisation. Diese Normungsaufträge werden nun sukzessive neu erstellt, wobei mit der Überarbeitung der Produktnorm für Fenster und Türen als vierte Produktgruppe zeitnah begonnen werden kann. Andererseits hat sich CEN verpflichtet, die neuen Normen in einem deutlich strafferen Zeitplan als bisher abzuliefern. Die Vorgabe der Kommission liegt trotz zusätzlicher Kontrollschritte bei ca. 36 Monaten. Unterstützend wurde eine Expertengruppe eingerichtet, um den Normungsprozess zu beschleunigen.
Rechtsanwältin Nina Harr ist in der Kanzlei SMNG mit dem Schwerpunkt Baurecht tätig und berät mittelständische Bauunternehmen bei Bauprojekten sowie rund um das Thema der CE-Kennzeichnung. Foto: © SMNGGebäudehülle: Was hat es mit dem digitalen Produktpass auf sich?
Harr: Der digitale Produktpass basiert auf Regelungen aus einer anderen europäischen Richtlinie und zwar der Ökodesign-Verordnung. Er soll die verschiedensten Informationen bündeln bzw. beinhalten, die über die Nutzungszeit des Produktes erforderlich sind, um das Produkt möglichst lange nutzen zu können (Stichwort Sicherheitsanforderungen / Wartung / Reparatur). Ebenso sollen auch die notwendigen Informationen zu Ausbau, Recycling und ggf. Re-Use zur Verfügung stehen, die am Ende der Nutzungsphase eines Produkts erforderlich sind. Deshalb muss die digitale Verfügbarkeit für einen langen Zeitraum sichergestellt werden. Der digitale Produktpass wird auch als ein wesentliches Element für die Weiterentwicklung des Building Information Modeling (BIM) gesehen.
Gebäudehülle: Gibt es besondere Instrumente in der BauPVO 2024, die die Digitalisierung im Bausektor vorantreiben?
Niemöller: Die neue BauPVO beschreibt den künftigen digitalen Produktpass, verlangt vor dessen Einführung jedoch einen entsprechenden Rechtsakt sowie die Bereitstellung der dafür notwendigen Infrastruktur. Wenn diese Aufgaben erledigt sind, gibt es eine zwölfmonatige Übergangszeit, in der die Nutzung für den Hersteller freiwillig, danach verpflichtend ist. Ziel ist, dass alle relevanten Informationen schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt werden, um beispielsweise den CO2-Fußabdruck eines Gebäudes einfach berechnen zu können. Eine Herausforderung für die Digitalisierung werden aus Sicht der Hersteller sicher die zusätzlichen Informationen sein, die ermittelt und bereitgestellt werden müssen.
Gebäudehülle: Mit der BauPVO 2011 wurde die Konformitätserklärung durch die Leistungserklärung ersetzt. Die BauPVO 2024 arbeitet jetzt mit einer Leistungs- und Konformitätserklärung – warum das?
Breckl-Stock: Die bisherige BauPVO erlaubt nur Leistungsmerkmale, die nach Stufe, Klasse oder als Wert erklärt werden können. Sogenannte "Pass/Fail"-Angaben, wie wir sie insbesondere bei der Prüfung von Sicherheits- und Schutzeinrichtungen benötigen, sind nicht möglich. Die neue BauPVO erlaubt nun, auch solche Produktanforderungen als Voraussetzungen für die Tauglichkeit der Produkte festzulegen. Die Übereinstimmung mit diesen Voraussetzungen muss dann durch einen zusätzlichen Passus zur Konformität deklariert werden, also die Übereinstimmung der Produkteigenschaften mit diesen Anforderungen.
Gebäudehülle: Die Pflicht zur CE-Kennzeichnung von Bauprodukten bleibt – gibt es dennoch Unterschiede zwischen der CE-Kennzeichnung nach der alten und neuen BauPVO?
Harr: Die Unterschiede erfolgen eher mittelbar, und zwar über den Bezug zur Leistungs- und Konformitätserklärung bzw. dem Produktpass. Auf diese Weise gelangen auch Umweltaspekte – aber eben nur indirekt – in die Kennzeichnung. An Produkte, die nicht in den Anwendungsbereich einer harmonisierten Norm fallen, sondern für die der Hersteller eine Europäische Zulassung auf der Grundlage eines Europäischen Bewertungsdokuments (EAD) beantragt, können die Mitgliedstaaten im Übrigen zusätzliche Voraussetzungen für die Verwendbarkeit festlegen.
Gebäudehülle: Die Berücksichtigung von Umweltaspekten war auch ein Grund für die Überarbeitung der BauPVO 2011. Auf welche Weise möchte / kann die BauPVO 2024 die Nachhaltigkeit darüber hinaus fördern?
Breckl-Stock: Die neue BauPVO hat in ihrem Anhang II zahlreiche Angaben festgelegt, die schrittweise in der Leistungserklärung mit anzugeben sind. Diese wurden aus der bereits heute dafür geltenden Norm EN 15804 "Nachhaltigkeit von Bauwerken – Umweltproduktdeklarationen (EPD)" übernommen. Weiterhin gilt die neue BauPVO nun auch für gebrauchte Produkte. Bei den Normungsaufträgen für harmonisierte Produktnormen muss die Anwendbarkeit der Normen für gebrauchte Produkte vorab mit verlangt werden. Die aktuellen Entwürfe der Normungsaufträge für Fenster und Türen sehen dies im Moment noch nicht vor. Zusätzlich enthält die neue BauPVO die Option, Regelungen für die Vorhaltung von nicht allgemein verfügbaren Ersatzteilen für bestimmte Zeiträume zu erstellen. Weiterhin erlaubt sie den Mitgliedstaaten, Pfandsysteme oder Rücknahmepflichten für überschüssige oder nicht verkaufte Produkte vorzuschreiben.
Gebäudehülle: Mit welchen Sanktionen der BauPVO 2024 wird ein Hersteller konfrontiert?
Niemöller: Die Mitgliedstaaten müssen entsprechende Sanktionen erst noch einführen bzw. aktualisieren, wobei hier zu vermuten ist, dass es im Wesentlichen bei den Sanktionen bleibt, wie sie sich aktuell aus dem deutschen Bauproduktengesetz ergeben. Dieses sieht Bußgelder bis zu 50.000 Euro vor und in besonders schweren Fällen auch Strafsanktionen.
Gebäudehülle: Gibt es Kritikpunkte an der BauPVO 2024?
Breckl-Stock: Soweit sich die Hersteller schon damit beschäftigt haben, werden im Wesentlichen Zweifel an der Umsetzbarkeit des geänderten Bewertungs- und Überprüfungssystems (Assessment and Verification System, kurz "AVS 3") geäußert. Die nun zusätzlich geforderte Bestätigung durch eine notifizierte Stelle für die korrekte Bestimmung des Produkttyps durch den Hersteller wird für die meist auftragsbezogenen und individuell gefertigten Produkte zeitliche Probleme und zusätzliche Kosten bewirken. Auch das neue System "AVS 3+" wird die Branche und die Prüfstellen beschäftigen, denn dem Themenkomplex der Nachhaltigkeit wird dadurch doch ein deutlich höherer Stellenwert eingeräumt. Hier gilt es, bei der Erarbeitung der Produktnormen für Klarheit zu sorgen und diese neuen Aufgaben für die Systemgeber, Hersteller und die notifizierten Prüfstellen handhabbar zu gestalten. Darüber hinaus werden – wie üblich, wenn neue Vorschriften eingeführt werden – ein erhöhter administrativer Aufwand und Kosten für die Implementierung neuer Prozesse kritisiert.
Gebäudehülle: Beschäftigen sich die Hersteller und auch die Sachverständigen schon ausführlicher mit den neuen Regelungen?
Breckl-Stock: Insbesondere die größeren Hersteller sowie die Systemhäuser beschäftigen sich schon detaillierter mit den neuen Regelungen. Im Vordergrund stehen Fragen zum digitalen Produktpass und der Umsetzung der Nachhaltigkeitsanforderungen, aber gerade hier fehlen noch die technischen und organisatorischen Voraussetzungen, um konkret handeln zu können.
Niemöller: Soweit es um die Stärkung der Kompetenz von Sachverständigen geht, ist sicher zu beobachten, in welcher Tiefe das komplexe Regelungssystem auch bei den sog. "etablierten Kompetenzträgern" (Sachverständige) zur Erweiterung des Horizontes führt; es besteht auch für Sachverständige Veranlassung zur Weiterbildung gemäß den Maßgaben aus der BauPVO 2024.
Gebäudehülle: Kommt ein Hersteller hinsichtlich der Anforderungen der BauPVO 2024 auch ohne Beratung – sei es durch das ift Rosenheim oder durch rechtliche Berater – aus?
Breckl-Stock: Das sollte so sein, zumal die Kommission zusätzliche Hilfen angekündigt hat. Nach unserer Erfahrung wenden sich die Hersteller jedoch gerne an ihre bekannten Ansprechpartner. Das ift Rosenheim ist maßgeblich bei der Entwicklung der neuen Produktnorm DIN EN 14351-1 beteiligt und wird mit der Fertigstellung der Norm den bisherigen Kommentar gemeinsam mit SMNG aktualisieren.
Harr: Da die neue Verordnung im Vergleich zur BauPVO 2011 noch einmal deutlich umfangreicher regulativ wirkt, erwarten wir Juristen einen hohen Beratungsbedarf. Zwar hat die EU-Kommission Hilfestellungen angekündigt, aber wie schon mit Blick auf die Kritikpunkte an der BauPVO 2024 erwähnt, leidet die Verständlichkeit bereits an der Komplexität des Regelwerkes. Deshalb werden wir mit der Fertigstellung der Norm den bisherigen Kommentar mit dem ift Rosenheim aktualisieren.
Weitere Informationen (1): Unter https://v-h1.de/7Lck finden Sie Video- Interviews zu den Neuerungen der BauPVO.
Weitere Informationen (2): Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Die neue BauPVO im "Kreuzverhör"
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