„Zu barrierefreien Gebäuden gehören entsprechende Fenster"
Die Messe Nürnberg sprach mit Prof. Dr. Dagmar Everding, Architektin und Planerin, Autorin des Handbuchs Barrierefreies Bauen sowie Fachgutachterin für barrierefreie Planungen und Bauten.
Beim Thema „Bauliche Barrierefreiheit“ denkt man bisher vor allem an Aufzüge und Rampen. Welche Bedeutung haben die Fenster von Gebäuden für Senioren und für Menschen mit Behinderung?
Prof. Dr. Everding: Fenster dienen der Belichtung, Besonnung und Belüftung von Gebäuden und bieten den Gebäudenutzerinnen und -nutzern einen Ausblick in die Umgebung. Gutes Licht und gute Luft sind für Menschen, die sich aufgrund ihres Alters oder ihrer körperlichen Einschränkungen zu einem hohen Zeitanteil in Innenräumen aufhalten, besonders wichtig.
Welche Anforderungen stellen Menschen mit Behinderungen an Fenster?
Everding: Zu unterscheiden sind generelle Anforderungen und die speziellen Bedürfnisse von Menschen je nach Art ihrer Behinderung. Grundsätzlich sollten die Fenster ausreichend bemessen und gut zu bedienen sein, um die genannten Funktionen zu erfüllen. Wohnungen sollten mindestens einen zentralen Aufenthaltsraum aufweisen, dessen Fenster auch im Winterhalbjahr Sonnenlicht hineinlassen. Gleichzeitig ist für eine wirksame sommerliche Verschattung Sorge zu tragen. Personen mit eingeschränktem Hörvermögen profitieren von Lärmschutzfenstern, um unter weniger Störgeräuschen zu leiden.
Auf den Rollstuhl angewiesene Menschen benötigen mindestens ein größeres Fenster, das einen Ausblick in niedriger Höhe (maximal 60 cm hoch) eröffnet. Sehbehinderte Personen sind auf eine gute Tageslichtversorgung beim Wohnen, bei der Arbeit und in der Freizeit angewiesen. Das Öffnen und Schließen der Fenster bzw. Fensterteile muss für alle Menschen mit eingeschränkter Motorik oder Kraft leichtgängig möglich sein. Dies ist teilweise nur mit unterstützenden elektrischen Antrieben möglich.
Spielen bei den Fenstern auch Farben eine Rolle?
Everding: Ja, Farben sorgen beim barrierefreien Bauen für Kontraste. Zum einen sollten sich die Rahmen farblich von der Innenwand absetzen, zum anderen sind Bedienelemente wie Griffe und Schalter besser aufzufinden, wenn sie gegenüber ihrem Hintergrund kontrastreich gestaltet sind.
Reichen die Hilfen für eine bessere Bedienbarkeit von Fenstern, die bereits auf dem Markt sind?
Everding: Am weitesten verbreitet ist die elektrische Bedienung von Rollläden und Verschattungselementen. Mit Fernbedienung steuerbare Oberlichter und Dachflächenfenster, für die Lüftung der Räume und auch für die Nachtabkühlung kommen zunehmend in Gebrauch. Als praktisch haben sich die integrierten Regensensoren herausgestellt. Sie sorgen für ein automatisches Schließen der Fenster bei Sturm, Regen, Schnee und Hagel.
Barrierefreie Fenster in einem Krankenhaus in Zürich. Foto: © Jörg PfäffingerAm Beginn ihrer Verbreitung befindet sich die internetbasierte Bedienung von Geräten und Ausstattungselementen. Mit Hilfe einer App lassen sich Steuerungen auch in großer Entfernung von Gebäuden ausüben. Als unzweckmäßig erlebe ich zur Zeit noch manche über Sensoren arbeitende Verschattungseinrichtungen. Bei schnell wandernden Wolken sind diese Elemente laufend in Bewegung und wirken dadurch störend.
Gibt es Fortschritte bei der Zertifizierung von Fenstern in barrierefreien Gebäuden?
Everding: Die Barrierefreiheit eines Gebäudes besteht aus dem funktionierenden Zusammenspiel vieler Komponenten. Ein Gebäudeeingang ist noch nicht barrierefrei, wenn er stufenfrei und schwellenlos ist. Es werden weitere Eigenschaften benötigt: die lichte Mindestbreite der Tür, die Bewegungsflächen vor und hinter der Tür und vieles mehr. Fenster sind Bestandteil einer barrierefreien Wohnung, eines barrierefreien Büros oder einer barrierefreien Arztpraxis. Planungen und Bauten können von DIN CERTCO als barrierefrei zertifiziert werden.
Im Rahmen dieser Zertifizierung einer baulichen Einheit wird auch geprüft, ob die Fenster die Anforderungen der DIN 18040 Norm Barrierefreies Bauen einhalten. Für die Verbreitung barrierefreier Gebäude, die für alle Menschen nutzbar sind, ist es hilfreich, wenn Bauelemente und Produkte standardisiert zur Verfügung stehen, die über die Eigenschaften verfügen, die der Planer eines solchen Gebäudes benötigt, z.B. Türen, deren Griffe auf der Bedienhöhe von 85 cm angebracht sind, Toiletten mit einer höheren Sitzhöhe und hochklappbaren Haltegriffen, Aufzüge in der vorgeschriebenen Kabinengröße und Ausstattung.
Das Bauelement Fenster hängt in seiner Bedeutung für die Barrierefreiheit allerdings stark von der jeweiligen architektonischen Planung ab. Seine eigenständigen barrierefreien Eigenschaften liegen vor allem in der Bedienbarkeit. Das Institut für Fenstertechnik (ift Rosenheim) hat Fachinformationen zur Umsetzung der Barrierefreiheit mit Fenstern und Türen herausgegeben, die hilfreiche Empfehlungen beinhalten.
Prof. Dr. Dagmar Everding ist Architektin und Planerin, Autorin des Handbuchs Barrierefreies Bauen (Leitfaden zur DIN 18040 Teil 1 bis 3) sowie DIN CERTCO Fachgutachterin für barrierefreie Planungen und Bauten.
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