Fehlen wichtige Details für die Funktionalität und Dauerhaftigkeit von Bauelementen in der Leistungsbeschreibung, sollte der Auftragnehmer rechtzeitig Bedenken anmelden bzw. durch klärende Rückfragen - ggf. in der Angebotsphase - seinen Vertragsinhalt ermitteln.

Fehlen wichtige Details für die Funktionalität und Dauerhaftigkeit von Bauelementen in der Leistungsbeschreibung, sollte der Auftragnehmer rechtzeitig Bedenken anmelden bzw. durch klärende Rückfragen - ggf. in der Angebotsphase - seinen Vertragsinhalt ermitteln. (Foto: © Vössing)

Vorsicht bei unvollständigen Leistungsverzeichnissen

Wenn ein Fenster- oder Fassadenhersteller von der Auftraggeberseite Vertragsunterlagen mit einer erkennbar lückenhaften, unklaren und/oder mangelhaften Leistungsbeschreibung erhält, sollte er nicht per se auf eine Nachtragsvergütung hoffen.

Viele Bauunternehmen – auch Fenster- und Fassadenbaubetriebe – fragen sich in derartigen Fällen, ob sie bei einem erkennbar mangelhaften Leistungsverzeichnis ohne großes Zutun anbieten und auf Nachtragsvergütung hoffen dürfen oder ob es geboten ist, die Auftraggeberseite auf erkannte Unstimmigkeiten in der Angebotsphase hinzuweisen.

Das Oberlandesgericht München hat sich in einer kürzlich veröffentlichten Gerichtsentscheidung mit diesen Fragen beschäftigt, deren Entscheidung für die Auftragnehmerseite – so das Vorbringen im Rechtsstreit – von „existentieller“ Bedeutung war.

Aktueller Fall

Der Streitsachverhalt wurde lediglich stark gekürzt veröffentlicht. Ausgangspunkt des Rechtsstreits war offensichtlich ein Bauvertrag, bei dem sich die Auftragnehmerseite gegenüber dem Auftraggeber zur Lieferung und Montage von verzinkten Stahlbauteilen einer Fassade verpflichtet hat. Der Vertrag sah eine Beschichtung der Stahlbauteile vor. Eine aus Sicht des später tätigen Gerichtssachverständigen erforderliche Vorbehandlung sah das vertragsgegenständliche Leistungsverzeichnis nicht vor.

Nach Ausführung und Abnahme der Fassadenbauleistungen waren bei den verzinkten Stahlbauteilen Korrosionserscheinungen mit Abplatzungen an der Fassade zu beobachten. Nachdem der Auftragnehmer den Mangelrügen der Auftraggeberseite nicht im gewünschten Umfang nähergetreten war, kam es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Mit Blick auf umfassende Mangelbehauptungen des Auftraggebers wurde der Streitwert des Berufungsverfahrens auf 635.550 Euro festgesetzt.

Im Rahmen des Rechtsstreits hat der gerichtliche Sachverständige festgestellt, dass die Korrosion der verzinkten Stahlbauteile der Fassade darauf zurückzuführen ist, dass sie für die nachfolgende Beschichtung unzureichend vorbehandelt waren. Die notwendige chemische Vorbehandlung hätte beispielsweise auf Phosphatbasis erfolgen können.

Der Auftragnehmer ist der Mängelargumentation des Auftraggebers insbesondere mit dem Hinweis entgegengetreten, das vertragsgegenständliche Leistungsverzeichnis enthalte keine Vorbehandlung und damit auch keine Phosphatierung, weshalb er diese Leistung auch nicht geschuldet habe (OLG München, Beschluss vom 23.06.2016, Az: 27 U 2283/15 Bau; BGH, Beschluss vom 26.06.2019, Az: VII ZR 199/16; Ripke, in IBR-Werkstatt- Beiträge, 12.02.2020).

Entscheidung des Oberlandesgerichts München

Das Oberlandesgericht München folgt der Argumentation des Auftragnehmers nicht. Er hat für die streitgegenständlichen Mängel einzustehen. Das Gericht weist mit Blick auf die Feststellungen des Gerichtssachverständigen darauf hin, dass die Korrosionserscheinungen im Ergebnis auf der mangelnden Vorbehandlung der Bauteile beruhen. Das Argument des Auftragnehmers, dass das Leistungsverzeichnis aber keine Vorbehandlung der Stahlbauteile vorgesehen habe, hat das Gericht nicht gelten lassen.

Das Oberlandesgericht München hat vielmehr Folgendes herausgearbeitet: Müssen Bauteile zwingend vorbehandelt werden, weil es anderenfalls zu Abplatzungen kommt, hat der Auftragnehmer die erforderliche Vorbehandlung auch dann vorzunehmen, wenn diese in der Leistungsbeschreibung nicht ausdrücklich aufgeführt ist. Andernfalls muss er gegenüber dem Auftraggeber rechtzeitig Bedenken anmelden (OLG München, Beschluss vom 23.06.2016, Az: 27 U 2283/15 Bau; BGH, Beschluss vom 26.06.2019, Az: VII ZR 199/16; Ripke).

Für die Praxis

Das vom Oberlandesgericht München herausgearbeitete Ergebnis wird manchen Praktiker überraschen. So kann die Anwendung der Entscheidung – auch im Fenster- und Fassadenbau – bedeuten, dass der Auftragnehmer die „Lücken“ eines Leistungsverzeichnisses bzw. fehlende Positionen im ungünstigsten Fall mit auszuführen hat, ohne hierfür Mehrvergütung realisieren zu können.

Der Bundesgerichtshof urteilt bei ähnlich gelagerten Fallkonstellationen dahingehend, dass dann, wenn der Bieter/ Auftragnehmer eine erkannte Unklarheit nicht in der Angebotsphase aufklärt, ihm im Einzelfall ein Anspruch auf Mehrvergütung verwehrt sein kann, falls es im Rahmen der Ausführung dann zu den erwarteten Erschwernissen kommt (BGH, Beschluss vom 20.04.2017, Az: VII ZR 141/16).

Hätte der Auftragnehmer im Sinne des § 4 Abs. 3 VOB/B Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung (z.B. im Leistungsverzeichnis fehlende Vorbehandlung) mitgeteilt und der Auftraggeber daraufhin eine geänderte Bauausführung angeordnet, wäre für den Auftragnehmer ein Mehrvergütungsanspruch gemäß § 2 Abs. 5/6 VOB/B oder gemäß §§ 650b ff. BGB in Betracht gekommen.

Festzuhalten ist, dass der Bieter/Auftragnehmer bei einem erkennbar unvollständigen Leistungsverzeichnis handeln und insbesondere entscheiden sollte, ob und inwieweit (in der Angebotsphase) Bedenken mitgeteilt werden. Wird dies unterlassen, kann der Streit um die Konsequenzen einer fehlenden Klärung durchaus „existentielle Bedeutung“ gewinnen und den wirtschaftlichen Erfolg einer Baumaßnahme zu Lasten des Auftragnehmers in Frage stellen.

Von Jörg Teller

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Rechtsanwalt Jörg Teller ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der Frankfurter Kanzlei SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH.

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