Prof. Jörn P. Lass: "Ich bin ein technikverliebter Mensch und habe große Freude daran, Produkte und Prozesse weiter zu verbessern oder durch disruptive Innovationen neue Wege zu begehen."

Prof. Jörn P. Lass: "Ich bin ein technikverliebter Mensch und habe große Freude daran, Produkte und Prozesse weiter zu verbessern oder durch disruptive Innovationen neue Wege zu begehen." (Foto: © ift Rosenheim)

ift-Leiter Jörn P. Lass: "Wir müssen Ideen und Lösungen liefern"

Seit Jahresbeginn leitet Professor Jörn P. Lass das Institut für Fenstertechnik (ift Rosenheim). Im Interview mit Gebäudehülle erläutert er seine Motivation für die neue Aufgabe, vor welchen Herausforderungen das ift steht und wo er Entwicklungspotenzial bei Produkten sieht.

Gebäudehülle: Was ist Ihre Motivation, die Aufgabe als Institutsleiter des ift Rosenheim zu übernehmen?
Lass: Das ift Rosenheim ist ein Institut mit einem sehr breiten Leistungsspektrum sowie einem hervorragenden nationalen und internationalen Netwerk. Es ist nicht nur Prüfund Zertifizierungsstelle, sondern Impulsgeber, Regelsetzer, Forscher und Ausbilder der Branche. Diese Expertise mit all meiner Energie und meinem Wissen weiterzuentwickeln, ist für mich eine große Ehre. Jetzt müssen wir Innovationen durch Forschung und Entwicklung fördern, um den sehr wichtigen Schritt zur Klimaneutralität und Nachhaltigkeit der Gebäude zu gehen.

Gebäudehülle: Welche Erfahrungen bringen Sie in die neue Position mit?
Lass: In 36 Berufsjahren habe ich verschiedenste Positionen in der Fenster- und Fassadenbranche innegehabt, u.a. in einem Systemhaus und bei verschiedenen Fenster- und Fassadenherstellern sowie 14 Jahre am ift Rosenheim. Im Institut konnte ich Kompetenzen in der Forschung, Prüfung, Güteüberwachung, Normung und Zertifizierung aufbauen. In meiner Hochschulzeit habe ich mein Wissen durch diverse Forschungs- und Abschlussarbeiten erweitert und gelernt, Menschen für Technik zu begeistern und Netzwerke zu pflegen. Diese Erfahrungen waren sehr hilfreich, weil komplexe Aufgaben nur in interdisziplinären Teams erfolgreich gelöst werden können. Die Kontakte in die Hochschullandschaft werde ich deshalb aufrecht erhalten und ausbauen, um durch gemeinsame Forschung Mehrwert für die Branche zu schaffen.

Gebäudehülle: Welche Ziele streben Sie für das ift Rosenheim in den nächsten Jahren an?
Lass: Um die gute Position des ift Rosenheim weiter auszubauen, müssen wir weiter wachsen, um in der globalisierten und digitalisierten Welt zu bestehen. Die Branche unterstützt das ift Rosenheim nicht aus Tradition, sondern wegen innovativer Impulse und passender Dienstleistungen. Ich denke, dass die energetischen Anforderungen an die Bauelemente und an die Gebäudehülle steigen werden, um den Klimawandel zu bremsen oder gar zu stoppen. Dafür haben wir in Deutschland und im ift Rosenheim das Know-how, das wir nutzen müssen. Deshalb werde ich mich verstärkt der Forschung widmen, um die aktuellen Probleme in der Förderlandschaft zu überwinden. Denn kleinere, praxisorientierte Projekte werden kaum noch gefördert, und für große Verbundprojekte braucht man entsprechende Finanzmittel für den 50-prozentigen Industrieanteil. Dies ist nur durch Kooperationen zu bewältigen. Außerdem will ich die Digitalisierung weiter forcieren. Das betrifft nicht nur den Vertrieb und die Kommunikation, sondern auch Prozessabläufe und den Ausbau digitaler Dienstleistungen. Das ift Rosenheim hat den großen Vorteil, dass wir Algorithmen nicht nur entwickeln, sondern durch eigene Prüfungen auch validieren können.

Gebäudehülle: Für die Top-Veranstaltung des ift, die Rosenheimer Fenstertage, wurde bereits ein neues, moderneres Konzept angekündigt. Muss sich die Branche auch auf neue Wege der Zusammenarbeit mit dem ift einstellen?
Lass: Ja, das ist schon länger in Planung. Die Coronakrise wirkt hier wie ein Turbo. Deshalb haben wir die Rosenheimer Tür- und Tortage nicht abgesagt oder verschoben, sondern werden diese am 28. Mai als digitalen Kongress veranstalten. Aus diesen Erfahrungen werden wir auch viel für die Rosenheimer Fenstertage lernen. Klar ist, dass wir für die effiziente Wissensvermittlung, Networking und den menschlichen Austausch einen passenden Mix aus Online-Kommunikation und persönlichem Treffen entwickeln werden.

Gebäudehülle: Sie müssen sich nun in die Themen verschiedenster Normungsgremien einarbeiten. Können Fenster-, Türen- und Fassadenhersteller darauf hoffen, dass angesichts des bereits erreichten hohen Niveaus in Europa die "Normungsflut" nicht weiter steigt?
Lass: Normung ist per se nichts Schlechtes, denn sie schafft gerade für mittelständische Unternehmen faire und transparente Wettbewerbsbedingungen. Es kommt aber sehr darauf an, die normativen Anforderungen und deren Anwendung praxistauglich zu gestalten, damit die Techniker in den Betrieben damit gut arbeiten können. Genau hier sieht sich das ift Rosenheim in der Pflicht. Leider wird gerade die Harmonisierung vieler wichtiger Produktnormen von der EU-Kommission blockiert. Wann dieser Knoten gelöst wird, ist zurzeit noch vollkommen unklar, so dass im harmonisierten Bereich mit einem Stillstand zu rechnen ist. Dies führt dazu, dass Normen weiter genutzt werden müssen, die nicht dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Nicht die "Normenflut" ist das Problem, sondern der derzeitige Stillstand.

Gebäudehülle: Wo sehen Sie angesichts weiter anziehender Effizienzanforderungen das größte Entwicklungspotenzial bei Fenstern und Fassaden?
Lass: Bisher sehe ich noch keine anziehenden Effizenzanforderungen im Baubereich. Die vergangenen Jahre waren geprägt von einer starken Nachfrage ohne Verschärfungen an die energetische Performance der Gebäudehülle. Dadurch hat es nur wenig energetische Innovationen gegeben. Diesen Trend müssen wir durch verstärkte Forschung und Entwicklung und schärfere Anforderungen im Energiebereich ändern. Produkte wie Vakuumisolierglas (VIG) aus europäischer Produktion oder druckentspantes Isolierglas geben hier Impulse. Für Vakuumisolierglas hat das ift ein Testverfahren für die Dauerhaftigkeit entwickelt, und im Bereich der druckentspannten Isoliergläser haben wir gerade ein Forschungsprojekt abgeschlossen. Ein weiteres Thema ist die Nachhaltigkeit von Bauprodukten. Dabei müssen auch die Energieverbräuche und Emissionen bei der Herstellung, im Betrieb, für den Unterhalt (Reinigung, Wartung etc.) und den Rückbau mit sortenreiner Entsorgung durch eine Ökobilanzierung berücksichtigt werden. Hier hat das ift Rosenheim sich in den letzten zehn Jahren einen großen Erfahrungsschatz erarbeitet und zählt heute zu den führenden Stellen in Deutschland für Nachhaltigkeitszertifizierungen. Für die kurzfristige Reduzierung der CO2-Emissionen ist aber eine massive Steigerung der energetischen Gebäudesanierung notwendig. Diese wird aber ohne gesetzliche Vorgaben nicht funktionieren, weil die Kosten für fossile Energien immer noch viel zu niedrig sind.

Zur Person:Prof. Jörn P. Lass ist seit über 36 Jahren in der Fenster- und Fassadenbranche tätig. Den Anfang machte eine Ausbildung zum Glaser und Fensterbauer. Nach dem Studium der Holztechnik folgten Aufgaben bei einem Systemgeber im internationalen Projektgeschäft sowie Tätigkeiten als Projektleiter in Fenster- und Fassadenbaubetrieben – zum Schluss als technischer Leiter eines mittelständischen Fenster- und Fassadenbauers. Danach folgten 14 Jahre Führungsaufgaben im ift Rosenheim in den Bereichen Forschung, Prüfung, Güteüberwachung, Normung und Zertifizierung. Die letzten sechs Jahre leitete er als Professor an der Technischen Hochschule Rosenheim die Studienrichtung "Gebäudehülle". Seit Anfang 2020 leitet Jörn P. Lass als Nachfolger von Professor Ulrich Sieberath das ift Rosenheim.

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