Bild 1: Extreme Reflexionsverzerrungen in der Außenansicht.

Bild 1: Extreme Reflexionsverzerrungen in der Außenansicht. (Foto: © Dr.-Ing. Herbert Schreiner)

Fertigungstoleranzen beeinflussen Ug-Wert

Fertigungstoleranzen und generelle Verwerfungen bei gehärteten Gläsern haben Auswirkungen auf die U-Werte von Isolierverglasungen.

Doch wie groß sind die Differenzen bei den Ug-Werten von Mehrscheiben-Isos aus ESG und/oder TVG oder gebogenen Mehrscheiben-Isoliergläsern zu den nach EN 673 ermittelten Werten?

Der Anteil von Glas in den Fassaden moderner Gebäude, ganz gleich, ob es sich dabei um Bürogebäude, anderweitig gewerblich genutzte Gebäude oder Ein- und/oder Mehrfamilienhäuser handelt, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Mit dem großflächigen Einsatz von Gläsern hat die Architektur Akzente gesetzt, die von den Nutzern der Gebäude sowohl aus ästhetischen Gründen als auch aus dem Grund, mehr Tageslicht in die Gebäude hineinzulassen, gerne angenommen wurden. Isoliergläser mit Einzelgläsern aus ESG und/oder TVG in den Fassaden solcher Gebäude kommen aus statischen und funktionalen Gründen ebenfalls immer häufiger zur Anwendung.

Dass es bei solchen Isoliergläsern mitunter optische Probleme geben kann, zeigen die beiden Bilder auf dieser Seite. Durch die Fertigungstoleranzen bei ESG und/oder TVG kommt es unter anderem als Folge der zulässigen generellen Verwerfungen der Einzelgläser (siehe Tabelle 1) und der Klimalasten nach DIN 18008-2 sowohl in der Außenansicht (siehe Bild 1) als auch in der Durchsicht (siehe Bild 2) zu unerwünschten optischen Verzerrungen. Neben den in den beiden Bildern gezeigten optischen Aspekten stellt sich dabei natürlich auch die Frage nach den Auswirkungen der nach den entsprechenden Normen zulässigen Fertigungstoleranzen auf die Funktionswerte von Mehrscheiben- Isoliergläsern.

Fertigungstoleranzen beeinflussen UG-Wert Dies sind zum Beispiel die Toleranzen für die generellen Verwerfungen von ESG- und/oder TVG-Einzelscheiben von Zweifach- und Dreifach-Isolierglas sowie bei gebogenem Mehrscheibenisolierglas die Fertigungstoleranzen in der Konturtreue der Einzelscheiben, die jeweils die Scheibenzwischenraumbreite(n) maßgeblich beeinflussen können und somit unter Umständen Einfluss auf den Ug-Wert der Isoliergläser nehmen. Hinzu kommen noch die Dickentoleranzen im Randbereich der Isolierglaseinheit. Dies ist Thema der nachfolgenden Betrachtung, bei der die infolge von Klimalasten bei Isoliergläsern auftretenden Verformungen der Einzelscheiben und deren Auswirkungen auf die Scheibenzwischenraumbreiten wegen deren Abhängigkeit von der jeweils aktuellen und sich ständig ändernden Wetterlage (Temperatur und Luftdruck) bewusst nicht berücksichtigt werden.

In EN 1279-1 werden unter Punkt 5.2 Glasscheiben/ Komponenten die hier behandelten Halbzeuge aufgeführt und relevante Normen genannt. Hierbei findet man unter Punkt 5.2.4 vorgespanntes Glas, unter 5.2.5 thermisch vorgespanntes Sicherheitsglas, unter 5.2.7 beschichtetes Glas und unter 5.2.9 gebogenes Glas, wobei bei gebogenem Glas auf ISO 11485 (alle maßgebenden Teile) verwiesen wird. Aus den diesen Glaserzeugnissen zugeordneten Normen ergeben sich die Toleranzen für die generellen Verwerfungen von ESG (EN 12150-1) und TVG (EN 1863-1) sowie für die Konturtreue von gebogenen Gläsern (ISO 11485-2) wie im Folgenden beschrieben.

Toleranzen für die konturtreue ΔPC von gebogenen Einfachgläsern (ISO 11485-2)

Die Toleranz ΔPC für die Konturtreue von gebogenem Einfachglas ergibt sich nach ISO 11485-2 für Glasdicken ≤ 10 mm zu zwei Dritteln der Glasdicke des gebogenen Einfachglases (Abbildung 1).

Toleranzen für die konturtreue ΔPC von gebogenen Isoliergläsern (ISO 11485-2)

Die Toleranz der Konturtreue von gebogenem Isolierglas wird in Abbildung 2 gezeigt und ergibt sich durch ΔPC = ΔPC1 + ΔPC2 + 2 mm Die Bestandteile der Formel bedeuten: ΔPC1 die Toleranz der Krümmung der ersten Komponente des gebogenen Isolierglases ΔPC2 die Toleranz der Krümmung der zweiten Komponente des gebogenen Isolierglases ΔPC1 und ΔPC2 mit dem Grenzwert von gebogenem Einfachglas (siehe oben).

Dickentoleranzen im Randbereich der Isolierglaseinheit (Punkt 6.3.3 in EN 1279-1)

In der EN 1279-1 wird ausgeführt: "Die tatsächliche Dicke muss an jeder Ecke und in der Nähe der Mittelpunkte der Kanten zwischen den äußeren Glasoberflächen der Einheit gemessen werden. Die Messwerte müssen auf 0,01 mm bestimmt werden und sind auf 0,1 mm zu runden. Die Messwerte der Dicken dürfen von der vom Hersteller des Mehrscheiben- Isolierglases angegebenen Nenndicke um nicht mehr als die in Tabelle 3 angegebenen Toleranzen abweichen."

Zweifach-Isolierglas aus zwei Einzelscheiben aus ESG bzw. TVG

Bild 2: Extreme optische Verzerrungen in der Durchsicht von innen nach außen. Foto: © Dr.-Ing. Herbert SchreinerBild 2: Extreme optische Verzerrungen in der Durchsicht von innen nach außen. Foto: © Dr.-Ing. Herbert Schreiner

Abbildung 3 zeigt mögliche und bewusst gewählte extreme Situation für die Veränderungen der Scheibenzwischenraumbreite aufgrund der Toleranzen im Randbereich und der möglichen generellen Verwerfungen der Einzelscheiben (schematische Darstellung). Natürlich sind auch andere Konstellationen darstellbar, die hier allerdings nicht weiter behandelt werden. Aus diesen willkürlich gewählten Situationen und den dabei auftretenden Veränderungen der Scheibenzwischenraumbreiten ergeben sich die rechnerisch ermittelten Ug-Werte in Tabelle 3.

Dreifach-Isolierglas aus drei Einzelscheiben aus ESG bzw. TVG

Mögliche und bewusst gewählte extreme Situationen für die Veränderungen der Scheibenzwischenraumbreite aufgrund der Dickentoleranzen und der möglichen generellen Verwerfungen der Einzelscheiben werden in Abbildung 4 schematisch dargestellt. Natürlich sind auch andere Konstellationen darstellbar, die hier allerdings nicht weiter behandelt werden. Aus den willkürlich gewählten Situationen und den dabei auftretenden Veränderungen der Scheibenzwischenraumbreiten ergeben sich die rechnerisch ermittelten Ug-Werte aus Tabelle 4.

Gebogenes Zweifach-Isolierglas aus zwei Einzelscheiben

Mögliche und bewusst gewählte extreme Situationen für die Veränderungen der Scheibenzwischenraumbreite aufgrund der Dickentoleranzen im Randbereich und der Toleranzen ΔPC der Konturtreue werden in Abbildung 5 gezeigt. Natürlich sind auch andere Konstellationen vorstellbar, die hier allerdings nicht weiter behandelt werden. Normative Vorgaben für die U-Wert-Ermittlung für Verglasungen nach EN 673-04-211 und Infos zur EN1279-5 in Bezug auf den Ug-Wert von Mehrscheiben-Isolierglas finden Sie zusammengefasst am Ende dieses Beitrags.

Zusammenfassende Bewertung und Ausblick

In EN 673 wird im Anwendungsbereich explizit darauf hingewiesen, dass "der nach der vorliegenden Norm berechnete U-Wert für Verglasungselemente bei der Berechnung des Gesamt-U-Wertes von Fernster, Türen und anderen Abschlüssen (siehe EN ISO 10077 [1]) zu verwenden" ist. Wie die Ausführungen oben und die mit dem Programm "glaCE" durchgeführten Berechnungen für jeweils identische Low-E-Beschichtungen gezeigt haben, sind innerhalb der zulässigen Fertigungstoleranzen der verwendeten Halbzeuge und der damit einhergehenden Einflussnahme auf die Scheibenzwischenraumbreite(n) von Mehrscheibenisoliergläsern zum Teil drastische Auswirkungen auf den nach EN 673 berechneten Ug-Werte vorstellbar.

Zumindest geht daraus hervor, dass der tatsächliche Ug-Wert von Isolierglaseinheiten nur bedingt dem entspricht, der nach EN 673 ermittelt wurde. Berücksichtigt man zusätzlich noch die nach DIN 18008-2 in einer sehr kalten Winternacht bei Lufthochdruck infolge der Klimalasten möglicherweise auftretenden Verformungen der Einzelgläser, so können sich daraus Konstellationen ergeben, die die Bewertungen der Ug-Werte nach Normen sehr in Frage stellen.

Je nach Situation ist es sogar vorstellbar, dass sich Glasoberflächen im Scheibenzwischenraum berühren und/ oder dass es in den Bereichen der Isolierglaseinheit, in denen der Ug-Wert dramatisch erhöht wird, je nach Wetterlage und Raumklima zu Kondensatbildung an der raumseitigen Scheibenoberfläche kommt. Dies sind Situationen, die aus hiesiger Sicht im praktischen Alltag, wenn überhaupt, dann nur als schwer hinnehmbar eingestuft werden müssen. Auch stellt sich die Frage nach dem "tatsächlichen" Ug-Wert der Verglasungen, da dieser ja insbesondere bei großflächigen Glasanwendungen in Fassaden einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Energiebilanz von Gebäuden hat.

Schwankungen beim Scheibeinzwischenraum haben Folgen für Ug-Wert

Zusammenfassend bedeutet dies für den Verarbeiter der Isoliergläser ebenso wie für den Planer und den Nutzer der Gebäude, dass nur der Ug-Wert des verwendeten Isolierglases bekannt ist, der auf der Basis der oben genannten Kriterien/ Normen ermittelt wurde (Wärmedurchgangskoeffizienten von Verglasungen mit ebenen und parallelen Oberflächen unter Annahme der parallelen Ausrichtung der Scheiben). Insofern ist nur der Ug-Wert der Verglasungselemente bekannt, der sich nach EN 673 ergibt.

Obwohl die Fertigungstoleranzen für die Einzelgläser und für die Dicke im Randbereich der Isolierglaseinheit eingehalten werden, kann (wie oben gezeigt wurde) insbesondere die Scheibenzwischenraumbreite großen Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen wiederum haben unter Umständen erhebliche Auswirkungen auf den tatsächlichen Ug-Wert jeder einzelnen Isolierglaseinheit. Wie oben gezeigt wurde, kann es, trotz Einhaltung der nach Normen zulässigen Fertigungstoleranzen, in der Scheibenmitte zu "worst case"-Konstellationen kommen, denen in der täglichen Praxis in der Regel kaum Bedeutung beigemessen wird.

Im Zuge der zurzeit in Sachen Klimapolitik stattfindenden Aktivitäten und des gestiegenen Umweltbewusstseins der Menschen erscheint es ratsam, sich den hier gezeigten Problemfeldern intensiv zu widmen. Den Fachleuten sollte es gelingen, Rahmenbedingungen und Bewertungsmethoden zu schaffen, die eine eindeutige und brauchbare Ug-Wert-Ermittlung ermöglichen.

Von Dr.-Ing. Herbert Schreiner

Den bebilderten Fachartikel als PDF-Datei herunterladen: Fertigungstoleranzen beeinflussen Ug-Wert

Das könnte Sie auch interessieren: